Keine Angst vor Zuwanderern

Etwa drei Viertel der Briten wollen den Zustrom von Immigranten, insbesondere aus Rumänien und Bulgarien, bremsen, und Premier David Cameron hat ihnen sein Ohr geöffnet, ziemlich weit. Besorgt um den Anspruch und die angeblich berechtigten Befürchtungen des Demos verkündete er sinngemäß, man müsse schließlich die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen. Jetzt aber pass auf!, möchte man am liebsten mit Wolf Haas sagen: Da hat sich tatsächlich jemand zu Wort gemeldet, auf den man (insbesondere unsere Politiker) nur allzu gern hört: die Wirtschaft. Ganz nüchtern und ernüchternd, pragmatisch und ehrlich (sie muss ja nicht auf Stimmenfang gehen) hat sie dem Premierminister und seiner konservativen Truppe vorgehalten, eine Begrenzung der Zuwanderung gefährde die Zukunft des Landes, dem es schon jetzt an Fachkräften mangelt. (Kommt uns doch irgendwie bekannt vor.) Und im übrigen: nach spätestens zwei Generationen seien die Fremden keine Zuwanderer mehr, sondern allesamt Briten. (Nebenbei: War das nicht immer so? Die Völkerwanderung ist keine historisch klar definierte Epoche, sondern, mal mehr, mal weniger, Dauerzustand.)

Genau in die Gegenrichtung jener auf der britischen Insel tendiert die Meinung der Bevölkerung in der Schweiz. Als die Initiative der „Vereinigung Umwelt und Bevölkerung“ aus Angst vor Übervölkerung eine drastische Deckelung der Zuwanderung gefordert hatte, schmetterten drei Viertel der Stimmberechtigten das Ansinnen in einem Referendum ab und folgten damit dem Votum der Regierung. Innenminister Alain Berset bezeichnete es als gefährlich und populistisch; die Schweiz sei auf qualifizierte Einwanderer angewiesen. „Birkenstock-Rassisten“ und „Öko-Faschisten“ schimpften andere Kritiker die nun gescheiterte Initiative jener Vereinigung.  In der FAZ vom 30. November 2014 kommentierte Johannes Ritter  das Ergebnis des Referendums so: „Populismus verfängt in der Schweiz am Ende doch nicht … Das liegt wesentlich daran, dass sich die in direkter Demokratie geübten Schweizer gut informieren.“

Bei uns in Deutschland gibt es eher keinen Anlass, auf „Birkenstock-Rassisten“ zu schimpfen. Hier sind es allerdings ebenfalls Rassisten, die die Angst vor Zuwanderung schüren, nur andere. Ich will jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen – aber was haben alle die, die um die Werte des christlichen Abendlands so besorgt sind, gesagt oder sich wenigstens dabei gedacht, dass die junge Studentin Tuğçe, die beim Versuch, zwei Mädchen zu Hilfe zu kommen, gestorben und jetzt für die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes vorgeschlagen ist, offenbar eine – na, was? Muslima ist? Geboren in Deutschland.

u.A.w.g. (ausgeschrieben: um Antwort wird gebeten, auch wenn das total „out“ ist.)

Das wär’s für heute.

Susanne Luecke

6 Gedanken zu „Keine Angst vor Zuwanderern

  1. Ich bin ja selber Zuwanderer und daher in der Frage wahrscheinlich nicht objektiv. In England geht es wohl mehr um die generelle Anti-EU-Stimmung, für die die Immigraten jetzt als Sündenböcke herhalten müssen. Im Prinzip hat man in Großbrittanien ja langjährige Erfahrung mit Zuwanderung aus den Commonwealth-Staaten.
    Vorsichtig bin ich bei den Argumenten aus der Wirtschaft. Da hege ich oft den Verdacht, dass es nicht um den angeblichen Fachkräftemangel geht sondern darum, durch möglichst viele billige und willige Zuwanderer die Löhne und Sozialstandards zu drücken.

    1. Das könnte durchaus der Hintergedanke dabei sein. Aber es wird ja allgemein von dem drohenden Fachkräftemangel geredet – vielleicht eine zwangsläufige Begleiterscheinung des demographischen Wandels? Je weniger Kinder geboren werden, desto mehr Fachkräfte dürften unter den Ungeborenen sein! Dass es der Wirtschaft auch immer darum geht, möglichst billig davon zu kommen, ist klar. Aber wie wäre das denn? Ist es wirklich möglich, Fachkräfte mit Migrationshintergrund einfach schlechter zu bezahlen?

      1. Wie ist das möglich?
        Ganz einfach, der Fachmann bekommt ja keinen Mindestlohn!
        Das sind gut bezahlte und hocheingruppierte Leute. Die werden mit der Zeit zu teuer. Rückgruppieren können sie diese nicht.
        Also versucht man sie zu ersetzen durch neue, die man logischerweise zuerst mal viel tiefer eingruppiert. Wärend der alte noch 5000 im Monat verdiente fängt der neue erst mal bei 2500 an.
        Ja, das war in der Wirtschaft immer so:
        Die damals „dringend benötigten Programmierer“ aus Indien waren auch nur dazu da die Löhne zu drücken und om sich vor allem von der Weiterbildung drücken zu können. Ein endemischer Programmierer verdiente damals 100.000 p.a. Der Inder kam für 60.000 p.a.
        Der Fachkräftemangel ist hausgemacht:
        Wenn man alle über 50-jährigen los wird, da sie die neuen Qualifikationen nicht haben (aufgrund von fehlender betrieblicher Ausbildung) und die Jungen mit Hauptschulabschluß (mit nur Hauptschule bekommen Sie keinen Ausbildungsplatz als Automechaniker mehr), sind die Klagen über diesen Fachkräftemangel nur Krokodilstränen.
        In Ostbayern sind viele Firmen, die mittlerweile viele Spanier zur Deckung ihres Fachkräftemangels holen.
        Die arbeitslosen Tschechen 50 km über der Grenze hingegen will man offensichtlich nicht.
        Womöglich fordern die mittlerweile gleiche Bezahlung aufgrund ihrer Deutschkenntnisse.
        Oder sind halt auch schon über 40.

  2. „Ist es wirklich möglich, Fachkräfte mit Migrationshintergrund einfach schlechter zu bezahlen?“ Wie es im freien Markt nun einmal so ist: Je mehr Bewerber ich für eine offene Stelle habe, desto eher kann ich die Bezahlung drücken.

    1. Ich mag da naiv sein – aber gibt die Politik der Wirtschaft nicht zu viel Spielraum?
      Es wird der übliche Balanceakt sein zwischen Freiraum und Verpflichtung, die ja kaum einer sich gern selbst auferlegt. Wirtschaftliche Zwänge oder mangelndes Ethos??

  3. Noch ein Kommentar zu Ihrer Sequenz an Fotos von Stilleben mit Abfall, da mein Kommentar in Ihrem Blog (#Schondorf) anscheinend einfach nicht angekommen ist.
    Eine gute Idee, Abfall mal unter einem anderen Aspekt als dem der Umweltverschmutzung zu betrachten. Mich beschäftigt das Thema Müll unter verschiedenen Aspekten schon lange. Es liegt in dem zufälligen Zusammentreffen von einander wesensfremden Gegenständen ja auch eine Art surrealistischer Poesie!

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