Die Unvereinbarkeit von Form und Inhalt

Unvereinbarkeit von Form und Inhalt

Das mag auf den ersten Blick seltsam klingen, aber diese Erfahrung machen wir sogar im Alltag. Eine Flüssigkeit passt sich der Form perfekt an, grobstückige Materie jedoch zeigt sich wenig kooperativ. Kein Problem, einen Krug mit Wasser oder Bier zu füllen, ein großes hingegen, wenn man zum Beispiel versucht, eine größere Anzahl von Büchern verschiedener Formate in einen Karton zu packen. Letzteres hilft sogar Inspektor Columbo bei der Aufklärung eines Verbrechens.

Ein konkretes aktuelles Beispiel, das auf den ersten Blick weit hergeholt erscheinen mag: Tiermedizinstudenten der LMU trafen im Lehr- und Versuchsgut der Universität in Oberschleißheim auf schockierende Verhältnisse in der Schweinehaltung an: blutige und abgebissene Schwänze, Gelenksentzündungen und Atemwegserkrankungen, was die Gutsleitung umgehend für „frei erfunden“ erklärte und mit rechtlichen Schritten wegen Verleumdung droht.

Was nun auf Wahrheit beruht und was nicht, können wir nicht entscheiden. Wir waren nicht vor Ort, um uns ein Bild machen zu können. Im Prinzip geht es auch um etwas Anderes: die sogenannte Kastenhaltung von Muttersauen. Dabei sind die Tiere in sog. Kastenständen praktisch zur Bewegungslosigkeit verdammt. Sie können darin lediglich stehen oder liegen, sind aber noch nicht einmal in der Lage, sich um die eigene Achse zu drehen. Während diese Art der Haltung z.B. in der Schweiz, in Österreich und Schweden längst verboten ist, ist sie in Deutschland immer noch legal, genügt also der Form. Von Tierschützern hingegen wird sie als nicht artgerecht entschieden abgelehnt.

Wir können die Sau nicht fragen, ob sie sich wohl fühlt; das heißt, wir können es schon, aber sie wird uns nicht antworten. Möglicherweise empfindet sie es auch nicht als etwas Außergewöhnliches gemessen an uralter, artgerechter Schweinehaltung (wer bei einer Fahrt durch einen lichten toskanischen Wald plötzlich vor einer kleinen Herde munterer Hausschweine steht, weiß, was ich meine), sie kennt es ja nicht anders. Aber irgendwie sagen ihr vermutlich ihre Gene, dass es auch anders gehen könnte, anders und zu ihrem Wohlbefinden. Wer weiß das schon. Der Form wurde jedenfalls genügt, aber der Inhalt blieb auf der Strecke.

Das wärs für heute.

Susanne Luecke