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„Wer in sein eygen nest scheisst…“

Selbstkritik ist eine Tugend, die Ehrlichkeit und Mut voraussetzt, vor allem, wenn sie in der Öffentlichkeit geschieht. Wenn sich einer hinstellt und bekennt: „Da habe ich etwas falsch gemacht“, dann sagen wir (oder wenigstens viele): Respekt!

Ganz anders sieht das aus, wenn sich einer hinstellt und sagt: „Da haben wir etwas falsch gemacht.“ Er klopft also nicht nur an die eigene Brust (vielleicht noch nicht einmal das), indem er z. B. seinen Landsleuten einen Spiegel vorhält. Da heißt es nicht mehr: Respekt, sondern im Gegenteil. Der Kritiker, der einen Missstand aufgedeckt hat, wird zum Nestbeschmutzer erklärt, und der Unrat, den er aufgespürt und dessen Urheber er beim Namen genannt hat, fliegt ihm nun selbst um die Ohren.

Für den sogenannten Nestbeschmutzer scheint es übrigens in keiner anderen Sprache einen exakt entsprechenden Begriff zu geben. Auch seiner Entstehungsgeschichte nach ist er anscheinend ein deutsches bzw. deutschsprachiges Phänomen. Um 1400 ist in der deutschen Literatur zum ersten Mal tadelnd die Rede von denen, die in ihr eigenes Nest machen, wie – einer abstrusen mittelalterlichen Zoologie zufolge – der Wiedehopf es zu tun pflege. Gut ein Jahrhundert später ist es schon sprichwörtlich: „Wer in sein eygen nest scheisst …… ist nit ehren werdt.“ Gegen 1900 taucht dann der Begriff „Nestbeschmutzer“ auf eine Person bezogen im abwertenden Verständnis auf (s. Wikipedia s.v. Nestbeschmutzer).

Namhafte „Nestbeschmutzer“ sind unter anderen: Herbert Achternbusch (hat unser schönes sauberes Bayern besudelt!), Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek, die beide ihre österreichischen Landsleute zutiefst verletzt haben, indem sie das zähe Nachleben nationalsozialistischen Gedankenguts in Österreich (wo auch eine Art Deutsch gesprochen wird) an den Pranger gestellt haben.

Im Zusammenhang mit den Missbrauchsskandalen kam vor einiger Zeit im Fernsehen wieder einmal eines der Opfer zu Wort. Es war ein Mann jenseits seiner besten Jahre, der in irgendeiner norddeutschen Stadt wohnt. Noch. Er werde, so klagte er, seit er seinen Fall publiziert habe, von seinen Mitbürgern derart bedrängt und als Nestbeschmutzer beschimpft, dass er keinen anderen Ausweg wisse als wegzuziehen, um in Zukunft wieder in Frieden leben zu können. Die perfideste Art der Schuldbewältigung: das Opfer zum Täter zu machen.

Kaum weniger perfide aber ist es, den Kritiker zum Täter zu machen (s. o.). Zur Illustration möchte ich Ihnen – falls Sie ihn nicht schon kennen – den Schweizer Pfarrer Hans Buschor vorstellen. Er ist der Programmdirektor und Hauptdarsteller des Fernsehsenders k-tv (k wie hebr. kephas = Fels). Als die Nachrichten über den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche und andere Autoritäten wochenlang die Nachrichten beherrschten, sagte der Herr Pfarrer – Bildschirm füllend – folgendes: Die wahren Sünder seien die Medien (Anm. d. A.: nicht etwa die Geistlichen, die Kinder oft über Jahre misshandelt und für ihr Leben traumatisiert hatten), denn sie schändeten den Leib Christi, nämlich die Kirche.

Das wär’s für heute.

Susanne Luecke

4 Gedanken zu „Über dieses Blog

  1. Liebe Susanne, herzlich willkommen in der spannenden Welt der Blogs, der kritischen Meinungen und der spannenden Ideen und Inspirationen. Hier haben Sie wirklich gefehlt und ich freue mich sehr, jetzt ab und zu in den kollektiven Spiegel zu blicken, den Sie uns so prägnant, intelligent und weitsichtig präsentieren.
    Herzliche Grüße und viel Freude beim Schreiben, Andrea

  2. Sehr geehrte Frau Lücke,
    ich möchte Ihnen meine vorzüglichste Hochachtung dazu aussprechen.

    Und auch einen kleinen Beitrag dazu leisten:
    Für mich stellt sich die Frage nicht, ob die DDR ein Rechtsstaat war, da es diesen nicht mehr gibt.
    Für mich ist die Frage eher legitim:
    Ist die Bundesrepublik Deutschland noch ein Rechtsstaat.
    Abnehmend z.B. mit dem Transatlantischen Handelabkommen würde ich sagen.
    Aber die spannenste Frage ist für mich, war sie es jemals.
    Sie wäre es gewesen, wenn man bei der Gründung die Gesetze nicht pauschal
    übernommen hätte, sondern den Gesetzesstand vor 1933 übernommen hätte!
    Die Gesetze von 33 bis 45 hat man, bis auf explizite aber anstandslos
    (im wahrsten Sinne des Wortes) übernommen.
    Und sie wirken teilweise bis heute:
    z.B. die Definition für Mord: Heimtücke.
    Eine Definition derr Natzis, die damit ihre marodierenden braunen Horden schützeten, die ihre Opfer wie Hunde erschlugen.
    Oder die Kriegsdienstverweigerung.
    Die Wehrpflicht hatten die Nazis eingeführt.
    Damit hat die Bundesrepublik die Standgerichtsurteile vor allem der letzte Kriegmonate legitimierte.
    Der einzige echte deutsche Widerstandskämpfer Georg Elsner wurde nie rehabilitiert:
    Der, der den Krieg vor Kriegsaussbruch verhindern wollte.
    Nein, man rehabilitierte den Adel. Von Stauffenberg und Konsorten, die mit Freude und Eifer von Anfang an dabei waren bis sie merkten der Krieg geht verloren.
    Die waren im Widerstand gegen Hitler, aber nie gegen den Nationalsozialismus.
    Forscht am nach welche von den Nazis erlassen Gesetze in die Gesetzbarkeit der Bundesrepublik Deutschland übernommmen ist man erstaunt:
    Mit wenigen Ausnahmen alle.
    Und in dieses wirklich dreckige Nest hat man die Nachgonorenen hineingesetzt.

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