Soeben hat das Landgericht München I im sog. Schokoladenstreit zwischen Ritter Sport und der Stiftung Warentest dem Kläger – Ritter Sport – Recht gegeben. Zur Erinnerung: Die Stiftung hatte dessen „Voll-Nuss-Schokolade“ mit „mangelhaft“ beurteilt, weil das Unternehmen ihrer Meinung nach in der Zutatenliste auf der Verpackung zu Unrecht ein „natürliches Aroma“ angegeben habe. Dabei soll es sich um den Stoff Piperonal handeln, der in verschiedenen Blütenölen vorkommt, angenehm riecht und schmeckt und an Vanille erinnert (aber mit Sicherheit billiger ist). So weit, so „natürlich“. Und wie wird es gewonnen? Durch Isomerisierung von Safrol (einem Naturstoff) zu Isosafrol und anschließende Oxidation zu Piperonal mit Kaliumpermanganat, Kaliumdichromat oder Ozon (lässt uns Wikipedia wissen). Das hört sich schon etwas naturferner an, und erst gar irritierend ist die Tatsache, dass innerhalb der EU (unter anderem) Herstellung, Inverkehrbringen und Erwerb von Piperonal ohne spezielle Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte verboten und strafbar sind. So hat auch das Gericht sich nicht darauf eingelassen die Frage zu beantworten, ob die Bezeichnung „natürlich“ nun gerechtfertigt sei oder nicht. Entscheidend für das Urteil war der Imageschaden, den die Firma durch die Beurteilung der Stiftung Warentest erlitten haben soll.
Das sorgte für einige Aufregung. Und doch gehört dieser Einzelfall, gemessen an der Gesamtsituation im Bereich der Lebensmittelkennzeichnung, in die Kategorie der peanuts. Ganz allgemein kann man sagen: Die Verordnung über die Kennzeichnung von Lebensmitteln, die dazu dienen sollte Transparenz zu schaffen, hat streng genommen geradezu das Gegenteil bewirkt, und so gebührt das „Mangelhaft“ eher dem Gesetzgeber, der den Herstellern einen großzügigen Freiraum gibt, uns, die Käufer, an der Nase herumzuführen. Weil Hersteller ungern verraten, was sie im Einzelnen im Kochtopf zusammengerührt haben, weichen sie schon seit geraumer Zeit auf Stoffe aus, die eben nicht deklariert werden müssen, wie die stattliche Schar von Enzymen, die in vielfältiger und unehrlicher Weise geradezu Wunder wirken.
Und wie steht es um die Produktbezeichnungen? Kennen Sie zum Beispiel den Unterschied zwischen „Frischer Buttermilch“ und „Reiner Buttermilch“? Nein? Buttermilch ist, wie sich viele erinnern werden, ein Produkt, das (leicht zu erraten) beim Buttern anfällt. Es besteht aus dem Milchserum und darin schwebenden Fett- und Eiweißpartikeln. Diese Art von Buttermilch, also die echte, darf sich „Reine Buttermilch“ nennen. Die andere aber, mag sie auch das Beiwort „frische“ tragen, ist genau genommen ein Surrogat, eine nachgemachte Buttermilch und zwar aus gesäuerter Magermilch, der Butterklümpchen zugesetzt sein können. Welche Molkerei würde das („Buttermilch-Imitat“!) auf ihre Etiketten drucken? Aber warum heißt diese falsche Buttermilch nicht einfach „Sauermilch“?
Im Endeffekt, so könnte man überspitzt sagen, sind industriell hergestellte Lebensmittel dank neuer Technologien und Zusatzstoffen nurmehr die Abbilder der traditionell hergestellten, nur – wir merken es nicht. Wir werden getäuscht und das ganz legal.
Zurück zum Anfang: Es ist müßig, als Käufer die einzelnen Angaben auf der Zutatenliste verstehen zu wollen. Wer errät schon, was die E-Nummern bedeuten, welche Funktion etwa ein Antioxidans, was Zuckerkulör im Balsamico zu suchen hat, ob „Karamellzuckersirup“ nur die Bezeichnung Zuckerkulör umgehen will, was ein Hefeextrakt oder modifizierte Stärke bedeuten?
Es gibt jedoch ein ganz einfaches Mittel zur Problemlösung: Alle Fertigprodukte rigoros von der Einkaufsliste streichen! Sie dienen ausschließlich unserer Bequemlichkeit (weshalb sie ja auch Convenience-Produkte heißen). Im Allgemeinen kann gelten: Je tischfertiger ein Gericht ist, desto mehr Raum bietet es für technologische Tricks und Zusatzstoffe (ausgenommen einige Ware aus der Tiefkühltruhe), die im Grunde nur die Aufgabe haben, ein Produkt möglichst attraktiv erscheinen zu lassen, wofür sich künstliche (billige!) Farbstoffe und Aromen hervorragend eignen, aber auch verschiedene Substanzen, die lediglich Bedeutung für eine problemlose Herstellung haben, also nur dem Produzenten nutzen. Die Überwindung unserer Faulheit wäre das wirksamste Mittel gegen Intransparenz und Ungewissheit. Was man selber herstellt, ist durchschaubar. Nebenbei: eines der ältesten (wenn nicht das älteste) Convenience-Produkt ist das Puddingpulver – und ist doch nichts Anderes als schlichte Speisestärke, allerdings „verfeinert“ durch Farb- und Aromastoffe! Es ist kinderleicht, unter geringem Zeitaufwand einen Pudding selber zu machen – ohne Zusatzstoffe.
Wer keine Ahnung vom Kochen hat, sollte sich ein gutes Allgemeinkochbuch zulegen oder – falls er Analphabet ist – es sich in den zahllosen Kochsendungen auf allen Fernsehkanälen beibringen lassen.
Im übrigen bleibt immer noch genug, was man vermutlich eher professionellen Produzenten überlassen wird. Schokolademachen zum Beispiel.
Das wär’s für heute.
Susanne Luecke