Wie unabhängig ist unsere Justiz?
Wer am 8. Mai in der Sendung „Quer“ (Christoph Süß/BR) den Beitrag über das „Ärztebetrugs-Kartell“ gesehen hat , dürfte sich gefragt haben, ob sich diese Geschichte tatsächlich in der Bundesrepublik Deutschland zugetragen hat. Aber kein Zweifel – Augsburg, der Ort des Geschehens, liegt in Deutschland, genauer: im Bundesland Bayern.
Der Fall: Jahrelang haben sich Ärzte gegenseitig Aufträge zugeschanzt und auf diese Weise die Krankenkassen um Millionen Euro betrogen. Im Fokus der staatsanwaltlichen Ermittlungen stand der Augsburger Mediziner Bernd Schottdorf, Betreiber des (wie er sich selbst rühmt) europaweit größten Labors mit zehn Subunternehmen in ganz Deutschland. Daran wäre nichts auszusetzen, hätte Schottdorf diese subunternehmerischen Labore nicht für selbständig erklärt und es ihnen überlassen , zum Schaden der Kassen und Patienten überhöhte Rechnungen zu stellen, wovon natürlich auch er profitierte. Dabei soll es um zweistellige Millionenbeträge gegangen sein. In den Jahren 2004 bis 2008 ermittelte deshalb die Staatsanwaltschaft Augsburg gegen den Unternehmer Schottdorf wegen Abrechnungsbetrugs. Obgleich in den Skandal insgesamt 10 000 Ärzte verwickelt waren, darunter 2500 in Bayern, wurde zunächst in einem Pilotprozess nur gegen einen der Ärzte Klage erhoben.
Doch nach vier Jahren stellte die Augsburger Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen plötzlich ein – trotz des einen bereits laufenden Verfahrens. Stattdessen gerieten jetzt zwei der Ermittler der Sonderkomission (Soko „Labor“) selbst ins Visier der Staatsanwaltschaft : die Komisssare Stephan Sattler (der Leiter der Komission) und Robert Mahler.
Um das zu begreifen , muss man etwas weiter ausholen. Als Robert Mahler in Erfahrung gebracht hatte, dass Schottdorf an den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und die CSU gespendet hatte und damit in die Öffentlichkeit gegangen war, wurde gegen ihn Anzeige erstattet . Doch Mahler setzte sich erfolgreich gegen Straf- und Disziplinarverfahren zur Wehr (und erhielt im vergangenen März den Preis für Zivilcourage der „Liebe und Lütje Stiftung“). Übler wurde dem Kriminalhauptkommissar Stephan Sattler mitgespielt. Ohne richterlichen Beschluss wurden dessen E-Mails ausgelesen, er selber wurde in seiner Abwesenheit versetzt. Das bedeute für ihn praktisch das Ende seiner Karriere, deutet er an („Quer“, 8. Mai 2014).
Das Ermittlungsverfahren gegen Schottdorf – im Nachhinein von unabhängigen Fachleuten als schlampig und nicht sachgerecht kritisiert – wurde niedergeschlagen. Begründung der Staatsanwaltschaft: kein hinreichender Tatverdacht. Kritiker sehen in deren Verhalten eher Rechtsbeugung und Strafvereitelung. (Wer Ausführlicheres zum Thema Bestechlichkeit der bayerischen Justiz erfahren möchte, dem sei als Lektüre empfohlen: Wilhelm Schlötterer, „Wahn und Willkür“, Heyne Verlag 2013, bes. pp. 123 ff.)
Inzwischen aber dürfte Bewegung in den Fall kommen.: Am 21. März 2014 hat das Augsburger Landgericht die Anklage der Staatsanwaltschaft schließlich zugelassen (Quelle: Beate Mangold/BR).
Ergänzend zum Fall Schottdorf sollte man wissen, dass gegen den Unternehmer in der Vergangenheit bereits zwei Verfahren – 1992 und 2000 – wegen Betrugsverdachts gelaufen waren („Augsburger Allgemeine“ , 2. März 2012). 1992 ging es um eine Summe von 100 Millionen DM. Gegen ein Bußgeld von 60 000 DM wurde das Verfahren eingestellt. Im Jahr 2000 kam es nach 32 Prozesstagen zu einem Freispruch.
Zum besseren Verständnis dieser kaum nachvollziehbaren Vorgänge: In Deutschland existiert ein externes Weisungsrecht der Justizminister (Gerichtsverfassungsgesetz §§ 144-146), das es ihnen ermöglicht, durch einen bloßen Telefonanruf (eine schriftliche Form ist nicht erforderlich) den Staatsanwaltschaften einen Wink zu geben, in welche Richtung die Ermittlungen zu laufen haben. Der deutsche Richterbund fordert seit Jahren die Abschaffung des externen Weisungsrechts. Dieses Begehren stand auch auf der Agenda des letzten Deutschen Richter- und Staatsanwaltstags im vergangenen April in Weimar – erfolglos.
Das wär’s für heute.
Susanne Luecke