Wer ist schuld?
In der heutigen Ausgabe der Auslandschronik in B5 aktuell kam eine russische Ärztin zu Wort, die aus dem Kriegsgebiet der östlichen Ukraine zu ihren Verwandten nach Litauen geflohen war. Noch immer atemlos, so hatte man den Eindruck, berichtete sie von den untragbaren Zuständen in ihrer Heimatstadt. Sie sagte aber auch etwas, was nachdenklich stimmt. Sinngemäß folgendes: Wenn man bedenkt, wie viele Jugendliche nach acht Jahren Schule dastehen ohne eine Perspektive – kann man denen verdenken, wenn sie zu Revolutionären werden?
Das könnte einem auch in den Sinn kommen angesichts so manchen Auftritts der Neo-Nazis, wie sie in martialischer Entschlossenheit dahinschreiten, die Fahnenstange fest umklammert, wenn man in Gesichter schaut, die Menschen gehören, denen das Schicksal offenkundig alle Gaben des Geistes vorenthalten hat, die formbar sind wie Knetmasse; wenn man dann hört, wie Kommunen Jugendtreffs schließen müssen, weil es ihnen an Geld fehlt; wenn man die Arbeitslosenzahlen unter Jugendlichen in den südlichen EU-Ländern sieht und erfährt, wie die Bundesregierung junge Arbeitslose aus Spanien ins Land lockt und sie, wenn sie dann da sind, fallen lässt – wer wundert sich da, wenn Feriencamps der Rechtsradikalen und islamistische Vereinigungen immer mehr Zulauf haben?
Wie immer das Böse in die Welt gekommen sein mag, ob durch die Schlange im Paradies oder durch eine Fehlleistung der Evolution, wir können es nicht aus der Welt schaffen, aber wir können es in Schach halten, indem wir uns um die kümmern, die sonst im Würgegriff krimineller Mächte landen, den sie für eine Umarmung halten. Wenn das Kind erst im Brunnen liegt, ist es oft zu spät – aber sich mit Kräften dafür einsetzen, dass es nicht erst hineinfällt, das sollte oberstes Gebot unserer Politik sein. Doch der scheint viel mehr daran gelegen, großen Konzernen und ihren Aktionären und geldgierigen Magnaten zu Diensten zu sein.
Das wär’s für heute.
Susanne Luecke
Liebe Frau Lücke,
war das nicht auch vor dem 2. Weltkrieg so ähnlich: Als mein Vater kurz vor dem Abitur das Gymnasium verlassen mußte, weil sein Vater gestorben war und die Mutter das Schulgeld nicht mehr bezahlen konnte. Da platze eine zugesagte Lehre als Förster oder eine Lehre bei der Bank wurde kurzerhand abgeschafft, selbst sein Onkel als Schneider konnte ihm keinen Ausbildungsplatz ermöglichen. Da blieb ihm nur das Geigenspielen in den Bierstuben und die Hitlerjugend, um irgendwie an Geld zu kommen und aufgeräumt zu sein. Schlimm genug, weil uns die Geschichte das böse Ende lehrte, aber manchmal erscheint einem Jugendlichen nur noch ein Ausweg zu bleiben – den aber bis zum Schluss gehen zu müssen, entscheidet dann letztendlich doch jeder für sich alleine, wie uns Einzelschicksale immer wieder bestätigen. Jeder ist schließlich für sich selber verantwortlich und kann die Verantwortung nicht immer abgeben.
Das ist meine Meinung zu diesemThema liebe Susanne und herzlichst Gisela
Da gebe ich Dir vollkommen recht, liebe Gisela. Die Phänomene gleichen einander, nur die historischen Voraussetzungen sind unterschiedlich. Aber nach denen wird keiner fragen, den es erwischt hat, und er braucht es auch nicht.
Dass manch einer unverschuldet in ein tiefes Loch fällt, kann ein Staat nicht unbedingt verhindern (wie man am Beispiel Deines Vaters sieht). Aber er könnte, wenn es denn passiert ist, eine Hand reichen, damit der Arme wieder aus dem Loch heraus kommt. Und nach dieser Hand suchen manche vergebens. Doch das wäre weiter und weiter zu differenzieren. Ein endloses Thema! Herzliche Grüße S.L.
p.s. Zum Stichwort „differenzieren“ kann ich nicht umhin mir einfallen zu lassen (!), was Edmund Husserl einmal berichtet. Er habe als Bub ein Messer geschenkt bekommen, das habe er immer wieder und so oft geschliffen, bis die Klinge aufgebraucht war. Da möchte man beinahe sagen: wenn es nicht wahr ist, ist es doch gut erfunden! S.L.
..es ist eine verwoehnte, aber auch vernachlassigte Jugend, und es ist nicht einfach sie zu motivieren. Deshalb waere es wichtig viele Jugendzentren zu eroeffnen, um ihnen ander Moeglichkeiten zu zeigen.