Noch ein paar Tage, und der Mitpatient in einer Reha-Klinik wird dich wissen lassen: „Ich hab‘ Schulter“, und er wird sich mitfühlend erkundigen: „Was haben Sie?“
Doch noch ist es nicht so weit, abgesehen davon, dass du nicht „Schulter“, sondern „Hüfte“ hast. Noch liegst du wie ein geprellter Frosch in einer chirurgischen Klinik, lässt über dich ergehen, was immer zu deiner Genesung beiträgt, und du wunderst dich, wie schnell du wieder zum Kleinkind geworden bist – das jedenfalls lässt der Umgangston einiger Pflegekräfte einschließlich der Physiotherapeutinnen argwöhnen. Für die schlichte Mitteilung, du mögest dein operiertes Bein im Liegen strecken und die Kniekehle durchdrücken, bemühen sie ein Bild, ohne das es, davon scheinen sie überzeugt, zu Missverständnissen kommen könnnte. Aber du schwörst, dass du noch nie im Liegen einen Topf Honig neben dir stehen hattest und dass noch nie ein Trupp Ameisen von der gegenüber liegenden Seite unter deiner Kniekehle hindurch wollte, weil es sie nach Honig gelüstete (was ihnen zu verwehren gilt), und du fragst dich, welchem Hirn dieser Geistesblitz wohl entfahren sein mag.
Am zweiten Tag nach der Op kennst du den Tagesablauf deiner Bettnachbarin draußen in ihrer kleinen, aber zufriedenen Welt ohne Bösartigkeit, du weißt, dass der Tag beginnt bei einer frischen Breze mit einer Tasse Kaffee und der BILD, am dritten Tag erfährst du, dass ihr Mann harte Eier mag und wie er sie sich auf dem Teller zurechtlegt und würzt, und schon am vierten Tag fragst du dich, weshalb du dir Gedanken machst über die angemessene Verwendung eines bestimmten Epithetons….
Das wär’s für heute.
Susanne Luecke