Ein Gastbeitrag von Stephan Luecke
Unser Wort Diplomatie hat seinen Ursprung im Altgriechischen. „Diploma“ (mit der Betonung auf der ersten Silbe) bedeutet dort zunächst nichts anderes als etwas „Doppeltes“, wobei der Stamm „dipl“ das eigentlich sinntragende Element des Wortes ist, das Suffix -oma markiert das Wort als Nomen. Der Stamm „dipl“ erscheint im Altgriechischen in einer Vielzahl von zusammengesetzten Wörtern und verweist dabei stets auf das Konzept der Doppelung. So existiert z.B. unter anderem das Verb „διπλόω“ mit der Bedeutung „etwas verdoppeln“, „etwas wiederholen“ oder auch das Adjektiv „δίπλαξ“, „doppelt gefaltet“, „aus zwei Schichten bestehend“. Es scheint möglich, dass wir hier eine indogermanische Wurzel vor uns haben, die auch im deutschen Wort „doppelt“ steckt. Die Übereinstimmung der Konsonanten d, p und l in den beiden Wortstämmen mag man nicht recht dem Zufall geschuldet sein lassen.
Spätestens im 1. Jh. v. Chr., so etwa bei Cicero, ist die Verwendung von „δίπλωμα“ zur Bezeichnung eines gefalteten – und somit doppellagigen – Blatts Papier, speziell eines Empfehlungsschreibens oder einer Art Ausweis fassbar. Wie die Bedeutungserweiterung von „gefaltetem, doppellagigem Papier“ hin zu „Ausweis“ zustande kommen konnte,
können die sog. Militärdiplome illustrieren, die den nichtrömischen Soldaten nach ihrer fünfundzwanzigjährigen Dienstzeit in den römischen Hilfstruppen (Auxiliareinheiten) ausgehändigt wurden.
Gegenstand dieser Schriftstücke ist die Verleihung des römischen Bürgerrechts sowie, bisweilen, das Recht zur Eheschließung (conubium) gewesen. Letzteres war den Soldaten während ihrer Dienstzeit verwehrt. Die entsprechenden Dekrete wurden üblicherweise von der kaiserlichen Kanzlei in Rom erlassen. Der einzelne Veteran erhielt eine Abschrift des Dekrets in doppelter Ausführung auf zwei Bronzetäfelchen, die auf einander gelegt und durch einen Draht miteinander verbunden waren. Das eine der beiden Täfelchen verdeckte dabei den gleichlautenden Text des anderen, so dass dieser erst nach Lösen des durch ein Siegel gesicherten Drahtes gelesen werden konnte. Die Inschrift des anderen Täfelchens war hingegen von außen sichtbar. Für den Fall, dass Zweifel an der Echtheit des Dekrets aufkamen, wurde das Siegel gebrochen und der Text auf der Innenseite geprüft. Das entsprechende Verfahren stellte also eine wirksame Methode zur Textsicherung dar.
Im diplomatischen Verkehr früherer Zeiten ist die Sicherstellung der Identität und Autorisierung eines Gesandten ein wesentlich größeres Problem als heute und dennoch unverzichtbar gewesen. Emissäre mussten daher stets entsprechende Beglaubigungsschreiben vorlegen können, deren Authentizität in der einen oder anderen Weise gesichert sein musste. In diesem Sinn begegnet das Wort „Diploma“ z.B. schon bei Cicero (Epistulae ad Atticum 10, 17, 4). Auch wenn man irgendwann andere Verfahren zu Textsicherung eingesetzt hat, so mag die Bezeichnung für die beschriebene Methode der Textdoppelung allgemein auf Schreiben mit entsprechendem Zweck übergegangen sein. Die Person, die das Schriftstück mit sich führte, war sodann der Diplomat, sein Metier die Diplomatie.
Lit.: K. E. Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, 2 Bände, Hannover 1913/1918 (Reprint Darmstadt 1998), s.v. Diploma (http://www.zeno.org/Georges-1913/A/diploma?hl=diploma)
H. G. Liddell, R. Scott, H. S. Jones, A Greek-English Lexicon, 9. Aufl. Oxford 1940 (mit Supplement 1996, Reprint 2006), s.vv. δίπλωμα, διπλόω, δίπλαξ
Sehr interessant. Ich hatte mir ehrlich gesagt nie Gedanken über die Herkunft des Wortes gemacht.
Hurra, noch ein Sprachliebhaber!
Ich danke Ihnen für die umfangreiche Erklärung zur Herkunft des Wortes Diplomatie.
Stefanie Windhausen
Da man einen einmal publizierten Text nicht einfach stillschweigend ändern soll (besser: darf), kommentiere ich hier also meinen eigenen Text bzw. stelle richtig:
Ich schreibe, dass mit den Militärdiplomen *bisweilen* auch das Recht zur Eheschließung an den Adressaten verliehen wurde. Das ist so nicht ganz richtig, denn Militärdiplome verliehen dieses Recht in aller Regel (ich danke meinem Freund Dieter Hennig für diesen Hinweis). Dieses Recht bezog sich in den meisten Fällen auch auf bestehende, bis dato also illegitime Verbindungen. Eventuell aus diesen Beziehungen hervorgegangene Kinder wurden als legitim und somit erbberechtigt anerkannt und erhielten ebenfalls das römische Bürgerrecht. Nachlesen kann man all dies z.B. hier: Weiß, Peter (Kiel), “Militärdiplome”, in: Der Neue Pauly, Herausgegeben von: Hubert Cancik,, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Consulted online on 04 April 2017
First published online: 2006
Stephan Luecke
Da man einen einmal publizierten Text nicht einfach stillschweigend ändern soll (besser: darf), kommentiere ich hier also meinen eigenen Text – und handle damit, nebenbei, ganz in dem Sinn, wie er in der programmatischen Vorrede zum hiesigen Blog formuliert ist: „Selbstkritik ist eine Tugend, die Ehrlichkeit und Mut voraussetzt, vor allem, wenn sie in der Öffentlichkeit geschieht. Wenn sich einer hinstellt und bekennt: ‚Da habe ich etwas falsch gemacht‘, dann sagen wir (oder wenigstens viele): Respekt!“ (http://susanne-luecke.de/ueber-dieses-blog/). Das klingt ein bisschen so, als würde ich mir selbst auf die Schultern klopfen wollen; das ist nicht der Fall, ich bringe das Zitat nur, weil es so schön passt, und überdies mit einem Schmunzeln.
Und hier nun meine kleine Anmerkung bzw. Korrektur: Ich schreibe, dass mit den Militärdiplomen *bisweilen* auch das Recht zur Eheschließung an den Adressaten verliehen wurde. Das ist so nicht ganz richtig, denn grundsätzlich *alle* Militärdiplome verliehen dieses Recht, ausnahmslos (ich danke meinem Freund Dieter Hennig für diesen Hinweis). Dieses Recht bezog sich in den meisten Fällen auch auf bestehende, bis dato also illegitime Verbindungen. Eventuell aus diesen Beziehungen hervorgegangene Kinder wurden als legitim und somit erbberechtigt anerkannt und erhielten ebenfalls das römische Bürgerrecht. Nachlesen kann man all dies z.B. hier: Weiß, Peter (Kiel), “Militärdiplome”, in: Der Neue Pauly, Herausgegeben von: Hubert Cancik,, Helmuth Schneider (Antike), Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Consulted online on 04 April 2017
First published online: 2006