Man hat fast den Eindruck, die sozialen, emotionalen, psychischen Begleiterscheinungen der physischen Pandemie, genannt Corona-Infektion respektive Covid-19, sind mindestens genauso ernst zu nehmen wie letztere, finden aber in der Öffentlichkeit weit weniger Beachtung. Eher nebenbei erfährt man, wie sich Psycho- und Familientherapeuten um das Wohl der – zum Wohl der Allgemeinheit – eingesperrten Menschen sorgen, die, zum Nichtstun verdonnert und am Verlassen der eigenen vier Wände gehindert, nicht wissen, wie mit ihrem Frust umgehen. Der Grund für diesen Frust ist letztlich eine erzwungene Untätigkeit, die für Langeweile sorgt, falls man nicht das Glück hat, von quängelnden Kindern und einer Partnerin, kurz vor dem Nevenzusammenbruch, beschäftigt zu werden.
Über die Langeweile haben sich ausführlich Philosophen, Soziologen, Psychologen etc. den Kopf zerbrochen und dazu geäußert. Dass Langeweile ein ziemlich lästiges, verstörendes Gefühl erzeugt, scheint allgemeine Erfahrung, und allgemeine Erkenntnis scheint auch, dass Langeweile etwas mit Untätigkeit, mit Nichtstun zu tun hat.
Bekanntlich hatten die alten Römer eine bemerkenswerte Einstellung zum Nichtstun, einem Zustand, den sie otium nannten, also Muße, die sich natürlich nur eine kleine wohlhabende Schicht leisten konnte. Für sie war otium der Normalzustand, nicht normal war das Gegenteil, nämlich negotium, auf deutsch: die Arbeit. Die hatte das Gros der Bevölkerung zu verrichten, das musste für seinen Lebensunterhalt und vor allem dafür schuften, dass sich jene Schicht das Nichtstun leisten konnte.
An otium maßen die Römer auch das, was bei uns Langeweile heißt, und nannten es otii molestia, otii taedium oder otii fastidium, also eine Art von Muße, die lästig war und auf den Geist ging. Dass im Mittelalter Muße bzw. Müßiggang als Laster, etwas Verwerfliches, Sündhaftes galt, dürfte inzwischen wohl kaum etwas mit dem heutigen Unbehagen im Zustand der Langeweile zu tun haben. Vielleicht liegt der Grund dafür, dass wir Langeweile als geradezu etwas Existenzbedrohendes empfinden, in unseren Genen, die irgendwie in der Steinzeit menschlicher Zivilisation stecken geblieben sind. Als wir noch Jäger und Sammler waren, hatten wir tagesfüllend mit Nahrungsbeschaffung zu tun, also schlicht: unsere Existenz zu sichern. Das Sammeln von Wildgräsersamen, Nüssen und Beeren erledigte sich nicht im Handumdrehen, und so ein Mammut zu erlegen und zu verarbeiten, brauchte mehr Zeit als mal kurz an der Fleischtheke ein Schnitzel einpacken zu lassen. Denken wir mal darüber nach. Das vertreibt die Langeweile.
Das wär’s für heute.
Susanne Luecke
„Dass im Mittelalter Muße bzw. Müßiggang als Laster … galt, dürfte inzwischen wohl kaum etwas mit dem heutigen Unbehagen im Zustand der Langeweile zu tun haben.“
Na, da bin ich mir nicht so sicher. Diese kirchliche Prägung, dass Müßiggang etwas Verwerfliches (und aller Laster Anfang) ist, kann schon etwas mit unserem heutigen Unbehagen an der Untätigkeit zu tun haben.
Wer weiß… Jedenfalls hat sich diese Einstellung sicher lange gehalten. Ich erinnere mich an eine Art moralisches Bilderbuch für Kinder aus dem frühen 19 Jh., in dem ein lesender Junge als Exempel für den verwerflichen Müßiggang diente. (Die Geistlichkeit hatte sicher noch ihre Probleme, des Lesens kundige Menschen zu tolerieren!)