Probleme mit dem zweigestrichenen g?
2011 wurde das wohl bekannteste Weihnachtslied von der Unesco in die Liste immateriellen Kulturerbes aufgenommen: „Stille Nacht, heilige Nacht…“. 1818 zum ersten Mal vom Dichter und vom Komponisten im kleinen Ort Oberndorf bei Salzburg zu Gehör gebracht, hat es – inzwischen übersetzt in 320 Sprachen und Dialekte – einen phänomenalen globalen Siegeszug angetreten. Das hatten sich der Dorfschullehrer und Organist Franz Xaver Gruber, Sohn armer Leineweber, der sich die Melodie hat einfallen lassen, und der Hilfspfarrer Josef Mohr, der die Verse verfasst hatte, nicht träumen lassen.
Man sagt der geistlichen Musik jener Zeit rühmend nach, sich vom römischen Ritus der Chormusik lateinischer Sprache nach Vorgabe der katholischen Kirche zu lösen und sich mehr den Anliegen der gläubigen Gemeinde zuzuwenden. Das hört sich zum Beispiel an wie in Schuberts Deutscher Messe, „zum Eingang“: „Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken?“, anstelle von lateinischen Psalmentexten des althergebrachten Introitus.
Bemerkenswert, dass dem Gemeindegesang überhaupt eine so tragende Rolle zugewiesen wurde (bis ins 20. Jahrhundert war er allenfalls eine Randerscheinung der Liturgie), aber was da häufig an Stimmumfang vorausgesetzt wird, übersteigt die Leistungsfähigkeit so manchen Stimmbands eines Menschen, dem nicht mindestens eine Duodezime zur Verfügung steht, der keine entsprechende Ausbildung genossen hat oder auch nur, weil ihm die Natur nicht so kurze Stimmbänder gemacht hat, dass sie das zweigestrichene g im Gloria der Deutschen Messe mühelos erreichen.
Insofern ist für mich auch die Beliebtheit von „Stille Nacht, heilige Nacht“ nur bedingt nachvollziehbar, gibt sich die ins Ohr gehende Melodie, die bei vielen Gemeindemitgliedern in der Höhe etwas gequält aus der Kehle will, doch recht fordernd. Das zweigestrichene fis muss man halt erst mal sauber hinkriegen.
Das wärs für heute – mit guten Wünschen für entspannte Feiertage!
Susanne Luecke