„Lasciate ogni speranza“ – lasst alle Hoffnung fahren! Diese Botschaft gibt Dante in seiner Göttlichen Komödie den zu ewiger Hölle Verdammten mit auf den Weg.
An die Hölle glauben wir heute ja nicht mehr, oder? Es gibt sie aber doch – dann und wann, da und dort, wenn auch nicht tief drin in der Erde, wo sie sich das Mittelalter dachte, sondern an ihrer Oberfläche, zum Beispiel (Nummer eins) in Chile von 1961 bis 1988, oder (Nummer zwei) in Argentinien in den 70er Jahren. Warum mir das ausgerechnet jetzt einfällt? Weil es aktuell um das Schicksal von vielen in der Türkei (wegen nicht nachvollziehbarer Vergehen) inhaftierten Journalisten und Menschenrechtlern geht. Unter den elf Untersuchungshäftlingen deutscher Staatsbürgerschaft ist auch die junge Übersetzerin Mesale Tolu, die mit ihrem zweijährigen Sohn seit April in einem türkischen Untersuchungsgefängnis einsitzt.
Da wird gegrübelt: Was könnte man da denn machen? Wie könnte, sollte, müsste Berlin denn darauf reagieren? Wie wäre es mit Sanktionen? Oder einfach mal Tacheles reden mit Erdogan?
Zurück zum Thema Hölle. Die Fakten zu Nummer eins (s.o.):
1961wurde gegen den späteren Sektengründer Paul Schäfer wegen Vergewaltigung zweier Jungen von der Staatsanwaltschaft Bonn Haftbefehl erteilt. Schäfer entzog sich der Strafverfolgung und floh nach Chile, wo er die „Colonia Dignidad“ (Kolonie Würde) gründete. Unter der Vortäuschung einer heilen Welt wurde in dieser einem Konzentrationslager vergleichbaren Kolonie geprügelt, zu unentgeltlicher Arbeit gezwungen, mit Elektroschocks gefoltert, exzessiv Drogen verabreicht, wurden Jugendliche missbraucht und vergewaltigt. Davon wussten bereits 1967 die Deutsche Botschaft und das Auswärtige Amt, ohne jedoch etwas dagegen zu unternehmen. Deutsche Politiker und Diplomaten sahen jahrzehntelang weg. Wer floh, wurde wieder eingefangen und in die Kolonie zurückgebracht. Einem Häftling (anders kann man das nicht nennen) gelang die Flucht bis in die deutsche Botschaft. Doch die wies ihn ab, betäubte ihn und ließ ihn per Ambulanz wieder in die Kolonie zurückbringen. Franz Josef Strauß zeigte sich vom wirtschaftlichen Erfolgt der Kolonie beeindruckt, der deutsche Botschafter Erich Strätling ließ sich einlullen durch inszenierte deutsche Folklore und weigerte sich, einen kritischen Bericht über die Kolonie an die Bundesregierung nach Bonn weiterzuleiten. Man wollte keinen Skandal, keine Differenzen mit den chilenischen Behörden.
Seit 1973 kooperierte Schäfer mit der chilenischen Militärjunta. 1977 machte Amnesty International die Zustände in der Kolonie öffentlich. Daraufhin erteilte die österreichische Botschaft einem ihrer Staatsangehörigen in der Kolonie ein Visum, das ihm die Ausreise ermöglichte. Die deutschen Staatsbürger hingegen erfuhren seitens ihrer Botschaft keinerlei Hilfe. Noch 1987 erregte der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm das Missfallen des deutschen Botschafters, als er dem Diktator Pinochet ins Gesicht sagte, er sei ein Folterknecht (Interview mit Norbert Blüm in der SZ vom 17. Juli 2015).
1996 wurde Schäfer endlich von einem chilenischen Gericht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Er tauchte unter und wurde erst 2005 in Argentinien gefasst und in Haft genommen. 2010 starb er.
Einer seiner engsten Mitarbeiter in der Kolonie, der Arzt Hartmut Hopp, floh als Verurteilter aus Chile und lebte bis August dieses Jahres unbehelligt in Krefeld. Jetzt hat die Zweite Große Strafkammer des Krefelder Landgerichts entschieden, dass ihm in Deutschland der Prozess gemacht werden kann. Hopps Strafverteidiger kündigte jedoch an, gegen diese Entscheidung Rechtsmittel einzulegen. Es gebe „ausreichend Ansatzpunkte für eine erfolgsversprechende Beschwerdebegründung“ (Zitat nach SPIEGEL online, s. Quellen).
Quellen: Klaus Schnellenkamp, Geboren im Schatten der Angst: Ich überlebte die Colonia Dignidad. Herbig Verlag, München 2007; Planet Wissen: Colonia Dignidad – Gefangen in einer Sekte in der ARD Mediathek, ARD/WDR 2016 (59 Min., verfügbar bis 14. September 2020); Die Colonia Dignidad. SPIEGEL online vom 24. Juni 2016;
Über die Ermordung der Elisabeth Käsemann und das Versagen deutscher Diplomatie nächste Woche.
Das wär’s erst mal für heute.
Susanne Luecke