Im Jahr 1713 führte der englische Physiologie und Physiker Stephen Hales zum ersten Mal eine Blutdruckmessung durch – an einem Pferd. Heute zählt die Blutdruckmessung am Menschen zu den am häufigsten durchgeführten Untersuchungen, und zwar weltweit. Die Konsequenzen sind für viele gravierend und häufig nicht zu ihrem Besten. Warum?
Wer hat noch nicht den Satz seines Arztes, seiner Ärztin gehört: „Viel zu hoch – dagegen müssen wir unbedingt etwas unternehmen“?
Was ist zu hoch, wo liegt der noch zu akzeptierende Grenzwert? Wer hat das eigentlich festgelegt? Noch bis Anfang der 80er Jahre galt die Faustregel „100 plus Lebensalter“. Ein Achtzigjähriger mit einem systolischen (oberen) Wert von 180 war demnach also durchaus „gesund“. Doch 1983 änderte sich das abrupt. Damals legte die WHO (World Health Organization) einen Grenzwert von 140/90 fest. Oberhalb dieses Werts galt ab nun ein Mensch als Hypertoniker, also als krank, zumindest als gefährdet, an Kreislaufproblemen, Herz- oder Hirninfarkt zu erkranken.
Kritiker wie der Heidelberger Arzt und Buchautor Gunter Frank bemängeln, dass es nicht genügend seriöse oder korrekt durchgeführte Studien gebe, die belegen, dass eine Normwertsenkung lebensverländernd wirkt. Vielmehr würden mit Hilfe neuer Normwerte neue Patienten und Abnehmer von Medikamenten „aus dem Hut gezaubert“.
Ein Grenzwert bedeutet eine klare Linie zwischen gesund und krank, normal und nicht normal. „Diese binäre Vorstellung trifft aber für kein biologisches System zu, auch nicht für den Menschen“, sagt Hans Werner Hense, Leiter des Bereichs Klinische Epidemiologie am Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster. „Unser Körper reagiert auf Herausforderungen an verschiedenen Stellen, um sein inneres Gleichgewicht, die Homöostase, wiederherzustellen. Dabei ist der Übergang fließend, von kerngesund über nicht mehr ganz gesund bis hin zu krank.“ (zitiert nach ZEIT online, Jg. 2014, Nr. 24).
Durch (oft überflüssige) langjährige Einnahme von Medikamenten kommt es sogar, so mancher Kritiker, zu Erkrankungen durch Nebenwirkungen dieser Medikamente, vor allem zu Nierenschäden.
Viele Ärzte nehmen heute von starren Grenzwerten Abstand und richten ihr Augenmerk auf das jeweilige zu behandelnde Individuum, berücksichtigen dessen gesundheitlichen Gesamtzustand und seine Lebensumstände, ob es sich um einen starken Raucher, einen Alkoholiker handelt oder jemand, der häufig oder permanent unter Stress leidet. Es gilt also, den Ursachen für einen erhöhten Blutdruck auf den Grund zu gehen und sie zu bekämpfen, statt Bluthochdruck an sich zur Krankheit zu erklären, die mittels Medikamenten kuriert werden sollte. Übrigens kann auch eine genetische Disposition zu höherem Blutdruck bestehen, ohne dass das einen Einfluss auf den gesundheitlichen Gesamtzustand haben muss.
Häufig empfehlen Ärzte eine Langzeitmessung: Mittels eines Gürtels wird ein Messgerät installiert, das 24 Stunden lang in regelmäßigen Abständen den Blutdruck kontrolliert und aufzeichnet (obwohl man in der Nacht lieber ungestört schlafen möchte!).
Die Alternative ist, sich in der Apotheke selber ein Blutdruckmessgerät anzuschaffen und regelmäßig Buch zu führen. Dann wird man überrascht feststellen, dass die Werte mitunter ohne erkennbaren Grund seltsame Kapriolen schlagen und dass der Durchschnittswert unter Umständen weit unter dem von einem Arzt zu einem bestimmten Zeitpunkt einmalig gemessenen liegt.
Das wär’s für heute.
Susanne Luecke
Cholesterin ist auch so ein Fall, wo durch Absenkung der Grenzwerte praktisch über Nacht Gesunde zu Patienten wurden.
Eine Ökotrophologin sagte mir mal, wesentlich schädlicher als ein erhöhter Cholesterinspiegel sei der von Homocystein als Auslöser von Gefäßschädigungen und Herz-Kreislauferkrankungen. Homocystein ist eine Aminosäure, die als Zwischenprodukt im Stoffwechsel des Menschen entsteht. Es wird für wesentlich mehr und gravierendere Krankheiten verantwortlich gemacht als das Cholesterin, bereits nur leicht erhöhte Werte können negative Wirkung haben.
Dieses Problem ist unter Laien kaum bekannt, und der Gesundheitsindustrie scheint auch nicht daran gelegen, es zu thematisieren – vielleicht weil bestimmte Medikamente entsprechende negative Nebenwirkungen haben können (genannt werden Antibiotika, Rheumamittel, die Pille u.a.)!
Richtig, das Cholesterin ist auch so ein Fall.