Seit mehr als 25 Jahren werden regelmäßig die Gipfel gestürmt, genauer: die Klimagipfel. Die Abschlusserklärung des ersten Weltgipfels in Rio de Janeiro im Jahr 1992 forderte erstmals die Einbindung des Umweltschutzes in alle Politikbereiche, und seit 1995 finden jährlich UN-Gipfeltreffen statt. Auf dem Gipfel angelangt, lässt man seine Blicke über das Land schweifen, findet so manches im Argen und verspricht, bald wieder einen Gipfel zu besteigen. – Auf dem „Autogipfel“ im Kanzleramt in Berlin (24. Juni) ging es schlicht um ein Konzept zur Zukunft der Mobilität.
Ist das Elektromobil die Lösung? „Die Zukunft gehört dem elektrischen Antrieb“ (Mercedes Werbung). Nein, sagt Helmut Becker, der Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation, in einem Gastbeitrag für das Fernsehnetzwerk n-tv vom 5. Nov. 2018. Die Gründe: Unzureichende Ladekapazität der Batterien; unzureichende und im Vergleich zum Verbrennermotor nicht wettbewerbsfähige Reichweite der tonnenschweren E-Autos; lange Ladedauer selbst an Schnellladestationen; komplizierte weil heterogene Tank-Abrechnungssysteme; völlig unzureichende ländliche öffentliche und vor allem private Ladeinfrastruktur in Form des Besitzes eines Eigenheims mit eigener Ladevorrichtung. Aber vor allem: „E-Autos sind schlicht zu teuer für den Massenmarkt.“ Fazit: „E-Mobilität ist und bleibt absehbar eine Spielwiese für Millionäre, nicht für Millionen.“ Nebenbei: der für das Frühjahr 2020 angekündigte Opel Corsa-E wird für ab knapp 30 000 Euro zu haben sein.
Kein Wunder also, dass „das 2008 formulierte Elektroauto-Ziel der Bundesregierung von einer Million Batteriefahrzeugen bis 2020 … längst als illusorisch“
(SPIEGEL online 25. Juni 2019). Die Wahrheit: im Januar 2018 waren in Deutschland ganze 53.861 reine E-Autos angemeldet und 44.419 Plug-In-Hybride (im Gegensatz zu 5 Millionen Neuanmeldungen von Verbrennungsfahrzeugen). Inzwischen sollen nach einer neuen Zielsetzung der Bundesregierung bis 2030 auf deutschen Straßen zehn Millionen Elektro-Pkw unterwegs sein.
Letztlich sei, so wird allenthalben gemahnt, auch jeder einzelne in der Pflicht, sich klimafreundlich zu verhalten. Merkwürdigerweise scheint in allen Diskussionen um Klimakatastrophe und Klimaschutz eines keine Beachtung zu finden: der Motorsport (12 Stunden, 24 Stunden Vollgas!), der eher an versteckten Orten der Kritik ausgesetzt ist. Das Motorsport-Magazin stellte schon 2013 fest, dass sich „wie überall im Motorsport … auch in der Formel 1 die Frage der ökologischen Sinnhaftigkeit“ stelle, denn „die hochgezüchteten Motoren [stießen] ohne die im Straßenverkehr vorgeschriebenen Umweltschutzmaßnahmen 1.500 Gramm CO2 pro Kilometer aus. Der Durchschnittswert für Straßenwagen liegt bei 160-170 Gramm.“
Die Formel 1 ist allerdings nur eine von 140 Rennserien weltweit, und zu den Autorennen kommen noch einige weitere lautstarke Umweltschädlinge: Kartrennen, Motorbootrennen, Motorradrennen (davon weltweit 59 Straßenrennen), dazu etliche Wettbewerbe mit Spezialfahrzeugen wie Traktoren, Lastkraftwagen (Truck Racing) oder Flugzeugen. Fast hätten wir vergessen: Die Kreuzfahrtschiffe. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) hat errechnet, dass ein Kreuzfahrtschiff pro Tag so viel CO2 ausstösst wie fast 84.000 Autos, so viel Stickoxide wie etwa 42.1200 Autos, so viel Feinstaub wie etwa über 1 Million Autos und so viel Schwefeldioxid wie gut 376 Millionen Autos.
Seien wir gespannt auf den nächsten Klimagipfel ‒ im Dezember dieses Jahres in Santiago de Chile!
Das wär’s für heute.
Susanne Luecke
[gilt]
Auch ich glaube nicht, dass das Elektroauto das Zaubermittel ist, das unsere Umweltprobleme löst. Im Personenverkehr brauchen wir mehr Busse und Bahnen, mehr und bessere Radwege, und intelligente Alternativen wie Mitfahrzentralen, Bedarfsbusse und Car Sharing.
Ganz wichtig wäre auch, den Pendlerverkehr zu reduzieren, indem die Menschen wohnortnah arbeiten können, und nicht jeden Tag im Stau auf dem Weg ins Büro stehen. Hans-Peter Sander hat dazu neulich in seinem Blog einen lesenswerten Beitrag geschrieben: http://eastwestcom.net/frischzellenkur-fuer-die-provinz/
Viele würden sicher auf das Pendeln verzichten, wenn es näher an ihrem Arbeitsplatz bezahlbaren Wohnraum gäbe…
Danke für den Hinweis auf den Blog!