Viruserkrankung „Bestseller“

Auf Schritt und Tritt, so stellte eine Reporterin des BR fest, stoße man auf der derzeitigen Buchmesse in Frankfurt auf kleine rote Aufkleber mit der Botschaft: SPIEGEL Bestseller.

Lassen wir einmal beiseite, was mich der Geschäftsführer eines deutschen Verlags, dessen Namen ich vorsichtshalber nicht preisgebe, einmal fragte: „Wissen Sie eigentlich, dass die Bestsellerliste des SPIEGEL manipuliert ist?“ Wie gesagt, lassen wir das im Moment mal auf sich beruhen.

Ob ein Buch ein Bestseller wird oder nicht, haben bislang Verlagsleiter und Redaktionen entschieden, also M e n s c h e n , die sich allerdings gewaltig irren können. Wir erinnern uns: Umberto Eco fiel mit seinem Buch „Der Name der Rose“ überall durch, bis der Hanser Verlag schließlich zugriff. Dass die Absager den zukünftigen Verkaufsschlager nicht erkannt hatten, kostete so manchen Verantwortlichen angeblich den Kopf.

Um solche Fehleinschätzungen zu vermeiden, davor soll in Zukunft ein Algorithmus bewahren. Mittels künstlicher Intelligenz, die der Kirschbuch-Verlag als erster zur Verfügung stellt, sollen zukünftige Bestseller ausfindig gemacht werden. Auf der Buchmesse konnten sich „Autoren und Autorinnen mit ihren Texten bewerben, um mittels Künstlicher Intelligenz von QualiFiction als \“Bestseller von morgen\“ entdeckt zu werden“ (Eigenwerbung des Verlags). Die Autorenberaterin Kristin Büttner ging an Hand von QualiFiction der Frage nach, was Leser bevorzugen, und stellte etwa fest: „Ein Happy End wird meist bevorzugt. Doch auch offene Enden kommen gut an. Die Stimmung sollte insgesamt nicht zu düster ein. Der Leser braucht von Zeit zu Zeit Erleichterungsmomente. …“ (Warum lassen wir die Leser ihre Bücher nicht gleich selber schreiben?)

Kann ein Algorithmus irren? Man könnte das System ja einmal auf die Probe stellen, indem man es zum Beispiel mit „Der Name der Rose“, „Die Buddenbrooks“, „Die Blechtrommel“, „Herkunft“ usw. füttert –  alles Titel, die sich bereits als Bestseller bewährt haben!

Lange hielten sich viele seriöse Verlage an die Devise: mach dein Geld mit Massenware und finanziere damit gute Literatur, die sich schlecht verkauft. Funktioniert das nicht mehr? (Überflüssig zu sagen, dass auch besagte gute Literatur hevorragende Verkaufszahlen erzielen kann – zur Überraschung der Propheten?)

Schon in den Siebzigerjahren spöttelte Ephraim Kishon, in Amerika sei ein gutes Buch eines, das sich gut verkauft. Als in den folgenden Jahrzehnten amerikanische Titel, für die Verlage (im Vergleich zu den Honoraren, mit denen sie deutsche Autoren abspeisten) horrende Summen zahlten, den deutschen Buchmarkt überschwemmten, verbreitete sich samt ihnen das robuste Virus des Bestsellers, das bis heute ganze Arbeit leistet; wie wir wissen, sind Viruserkrankungen schwer zu bekämpfen.

Das wär’s für heute.

Susanne Luecke

Ein Gedanke zu „Viruserkrankung „Bestseller“

  1. Vielleicht werden die Verlagsprogramme ja in Wirklichkeit schon längst von Software-Algorithmen zusammengestellt. Vielleicht werden die Bücher selbst auch schon von Algorithmen geschrieben? Die schiere Menge an nordischen Serienmörder-Thrillern und bayerischen Regionalkrimis kann von Menschen doch eigentlich gar nicht mehr produziert werden.

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