Das alles beherrschende Thema im Fernsehen in den Nachrichten zur besten Sendezeit: 60 Minuten und mehr Corona und alles, was irgendwie mit diesem Themenkreis zusammenhängt. Corona-Krise. Corona-Fallzahlen. Inzidenzwert. Corona-Impfstoff-Desaster. Impfstoffknappheit. Corona-Neuinfektionen. Corona-Tote. Und, was zu erwarten war: Corona-Pandemie als Wort des Jahres 2020.
Und sonst? Die Programmgestalter des Fernsehens
haben offenbar Mühe, den im Corona-Notstand weitgehend zum Höhlendasein verdammten Zuschauer bei Laune zu halten. Die lange geplante Kreuzfahrt mit Tausenden von Mitreisenden an Bord: abgesagt. Selbst Ausflüge ins nahegelegene geographische Umfeld: untersagt. Parties: nicht möglich. Wie lange noch? Wer weiß.
Wenn ein Blick in die Zukunft ein Blick ins Ungewisse ist und nicht unbedingt aufheiternd, ist retro angesagt. Die Vergangenheit ist ungefährlich weil unveränderlich und oft Gelegenheit, sich als Heutiger überlegen zu fühlen. Das baut auf und fördert gute Laune.
Nur keine Langeweile aufkommen lassen! Quiz-Shows tagsüber, abends, nachts. Wie heißt der längste Fluss Alaskas? Wer war 1964 Olympiasieger im Hochsprung? Und wenn der Mensch schon am Reisen gehindert wird, so zeigt man ihm wenigstens, wie schön das Reisen wäre, wenn erlaubt. Zum Beispiel auf 3sat in der Reihe „Griechenland: Von den Gipfeln bis ans Meer.“ Eine Reihe, die sich in den Worten der Programmzeitschrift Hörzu der Schönheit der Landschaft widmet. Wir können es uns auf dem Sofa bequem machen, das Glas Wein oder die Flasche Bier in Reichweite. Es versteht sich, dass in das gezeigte Bild kein Schwenk auf die Insel Lesbos passt. Erinnern Sie sich? An das Flüchtlingslager nach dem Brand des Lagers Moria im September des vergangenen Jahres? Dem provisorisch errichteten Zeltlager auf einem ehemaligen militärischen Schießübungsplatz in Kara Tepe mit den unzumutbaren Zuständen, viel zu klein für die vielen Menschen? Im Oktober hatte die internationale Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam zusammen mit dem Greek Council for Refugees Mitarbeiter entsandt, die die Situation in diesem Lager beurteilen sollten. Ihr Fazit: es sei schlimmer, als das Lager von Moria jemals gewesen war. Fast 8000 Menschen, meist Familien mit Kindern, lebten dort in Sommerzelten, ohne warmes Wasser, ohne Abwassersystem, ohne ausreichendes Essen, ohne angemessene medizinische Versorgung, Kälte, Sturm und Regen ausgesetzt. Die Mitarbeiter verschiedener Hilfsorganisationen, die vor Ort die Not zu lindern versuchen, appellierten an die EU-Staaten, Flüchtlinge aufzunehmen, und an Griechenland, Flüchtlinge aufs Festland zu bringen. Seither sind vier Monate vergangen. Was hat sich inzwischen getan?
Wenigstens Zeitungsleser finden eine Antwort auf diese Frage, etwa in einem Interview der Süddeutschen Zeitung vom 18.1.2021 mit der Ärztin Katrin Glatz-Brubakk von „Ärzte ohne Grenzen“. Die Ärztin ist seit August 2015 zum neunten Mal auf Lesbos und zieht eine ernüchternde Bilanz: „Als ich das erste Mal hier war, hatte ich noch die Hoffnung, dass Europa diese Situation in den Griff kriegen und sich um die Menschen kümmern würde. Ich kann nicht aufhören zu hoffen, dass das eines Tages noch geschieht. Aber in diesen fünfeinhalb Jahren hat sich rein gar nichts verbessert. Und wir wissen, dass das, was hier passiert, jedem einzelnen Verantwortlichen bekannt ist.“
Immerhin hat sich die Bundesregierung bereit erklärt, einmalig 1.553 Geflüchtete, primär Familien, aus mehreren Lagern aufzunehmen. Zusätzlich hat sie die Aufnahme von bis zu 150 unbegleiteten Minderjährigen beschlossen. Insgesamt sollen so etwa 1.700 Geflüchtete nach Deutschland gebracht werden.
In einer Petition vor Weihnachten 2020 hat „Respekt für Griechenland“, ein Verein, der sich parteiübergreifend aus Bundestags- und Landtagsabgeordneten zusammensetzt, die Bundesregierung aufgefordert, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. In ihrem Appell heißt es: „In Deutschland haben über 200 Kommunen sowie einzelne Bundesländer zugesagt, zusätzliche Geflüchtete aufzunehmen. Diese Zusagen übersteigen die vom Bund koordinierte Aufnahme deutlich. Wir sehen die Bundesregierung in der Pflicht, den Kommunen und Ländern, die eine menschenwürdige Unterbringung ermöglichen können und wollen, eine Zusage für die Aufnahme zu erteilen.“
Wie hat der Petitionsausschuss der Bundesregierung auf dieses Anliegen reagiert? Das wollte ich vorige Woche in einer Anfrage an die Pressestelle in Berlin wissen. Auf eine Antwort warte ich noch.
Das wär’s für heute.
Susanne Luecke
Hallo liebe Susanne,
Kompliment für diesen Artikel, Deine Recherchen und Dein stetes Mitteilungs-Engagement in diesem Blog –
das Fazit:
leider wieder ohne Hoffnung für die Geflüchteten und
ob Du eine Antwort erhälst… das bleibt wohl fraglich………
uns bleibt nur weiter abzuwarten und gesund zu bleiben
in diesem Sinne mach immer weiter so ….
ich freu mich auf Deinen nächsten Blog-Beitrag –
vielleicht am Ende der Pandemie alles Gute und pass gut auf Dich auf
mit herzlichen Grüßen aus der Ferne Gisella
Du hast recht, ich werde wohl vergebens auf eine Antwort aus Berlin hoffen. – Es ist schon interessant, auf wie vielfältige Weise wir unsere viel gepriesenen westlichen Werte ungenutzt lassen, s. den Fall Julian Assange zum Beispiel!
Ich habe auch den Eindruck, dass es so ist, wie Du schreibst: Das Thema Corona verdrängt alles andere aus den Nachrichten und aus dem öffentlichen Bewusstsein. Lesbos, Lipa, Assange, Snowden, Ukraine, Syrien … war da was?