Ein humanitärer Korridor – eine Alternative zum EU-Türkei-Abkommen?

Italien: Kirchen ermöglichen tausend Flüchtlingen legale Einreise“. So überschrieb der SPIEGEL Online am 16. Dezember vorigen Jahres einen Artikel über ein Ereignis, das weit mehr Aufmerksamkeit verdiente, als Politik 

und Medien ihm bislang zugestanden haben. Es geht um ein Projekt, das die Gemeinschaft Sant‘ Egidio (eine von der römisch-katholischen Kirche anerkannte geistliche Laiengemeinschaft), die evangelischen Kirchen Italiens und die Waldenser Kirche mit Unterstützung des italienischen Staates ins Leben gerufen haben. Ziel des Projekts ist es, innerhalb der nächsten zwei Jahre 1000 Flüchtlinge aus afrikanischen Krisengebieten, ausgehend von drei Anlaufstellen (Libanon, Marokko und Äthiopien) sicher und kontrolliert per Flugzeug oder Schiff nach Italien zu bringen. Mit dieser Maßnahme soll vor allem Schwerkranken, Alten, Gebrechlichen und Minderjährigen geholfen werden.

Die Initiatoren verstehen das Unternehmen als Pilotprojekt in der Hoffnung, dass es auch von anderen Organisationen und Staaten aufgegriffen und übernommen wird. Die Kosten wollen allein sie bzw. deren kirchliche Institutionen tragen, so dass auf den Staat keinerlei finanzielle Belastung zukommt. Nach dieser zweijährigen Pilotphase soll über eine Weiterführung des Projekts entschieden werden.

Aus der relativ zurückhaltenden Verbreitung dieser Nachrichten durch die Medien ist man allerdings versucht zu schließen, dass daran bei anderen Organisationen und Staaten wenig Interesse besteht. Immerhin titelt BILD am 29. 2. dieses Jahres: „Humanitärer Korridor: Italien nimmt Flüchtlinge direkt aus Beirut auf.“ Der 29. 2. ist der Tag, an dem die ersten 100 Flüchtlinge in Rom Fiumicino gelandet waren.

Am 5.4. fragte Tilmann Kleinjung im Deutschlandfunk: „Ist dies eine humanitäre Alternative zum EU-Türkei-Abkommen?“ Aber ja! Doch wo bleibt das Echo bei unseren Politikern? Da drängt sich eher der Eindruck auf, dass die sogar befürchten, dieses Modell könnte Schule machen. Stattdessen versichern sie uns gebetsmühlenartig ihrer unermüdlichen Aktivitäten, die offenkundig lediglich darin bestehen sich zu überlegen, wie viele Flüchtlinge man in Zukunft schneller abschieben könnte. Wenn Peter Altmaier, oberster Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, verkündet, man werde die Zahl der abgeschobenen Flüchtlinge in nächster Zeit verdoppeln, dann klingt das wie eine Erfolgsmeldung, ist aber im Gegenteil ein Signal des kompletten Versagens – weniger der Eu, als einzelner Länder, die formal (wohlgemerkt: nur formal) zur EU gehören. 

Wäre also der „humanitäre Korridor“, wie ihn Italien geschaffen hat, eine Alternative zum EU-Türkei-Abkommen? Mal sehen, wie lange wir auf eine Antwort unserer Politiker warten müssen.

Das wär’s für heute.

Susanne Luecke

2 Gedanken zu „Ein humanitärer Korridor – eine Alternative zum EU-Türkei-Abkommen?

  1. Der humanitäre Korridor ist sicher ein Element, um mit den Herausforderungen der Migration umzugehen. Ein ähnliches Programm gab es auf staatlicher Ebene in Deutschland. 2013/14 kamen knapp 40.000 Syrer als sog. Kontingentflüchtlinge aus den Krisengebieten direkt nach Deutschland. Leider werden die entsprechenden Programme von Bund und Ländern anscheinend nicht fortgeführt.
    http://www.migazin.de/2015/11/24/hintergrund-kontingentfluechtlinge-in-deutschland/

    1. Danke für den Link! – Es gibt immer wieder gute Ansätze, aber wer verhindert eigentlich, dass man auf dem beschrittenen Weg fortfährt? Politiker vertrauen wohl darauf, dass sich vieles von selber erledigt. Man könnte das pragmatisch nennen, und es funktioniert ja manchmal auch, aber sicher nicht bei einem so gravierenden Problem wie dem der Migration solchen Ausmaßes. (Nebenbei: Seien wir doch froh, dass die, die jetzt zu uns kommen, friedlich um Einlass bitten statt – wie in der Völkerwanderungszeit – über uns mordend, raubend und brandschatzend herzufallen!!)

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