Alle Beiträge von Susanne Lücke

Über Susanne Lücke

Geboren in Ustí nad Labem (Tschechien) am 15.11.1933. Hat in München, Toronto und Florenz gelebt, war als Mitarbeiterin des ZEITmagazin und als Buchautorin tätig. War mit dem Kunsthistoriker Hans-Karl Lücke (1927-2009) verheiratet. Lebt heute in Schondorf am Ammersee.

Fake news – eigentlich nichts Neues

Fake news bzw. Fakes sind keineswegs so neu, wie manche meinen, erfunden von gewissenlosen Massenkommunikanten in den Social Media. Im Mittelalter waren sie quasi an der Tagesordnung.

Das wohl bekannteste gefälschte, wohl um das Jahr 800 herum entstandene Dokument ist die sogenannte Konstantinische Schenkung, die dem Bischof von Rom Anfang des 4. Jahrhunderts angeblich die Vorherrschaft über die Patriarchate von Konstantinopel, Antiochia, Alexandrien und Jerusalem, zudem schließllich die Herrschaft über ganz Italien und die ganze westliche Welt zuerkannt haben sollte. Fake news – eigentlich nichts Neues weiterlesen

Klima-Gipfelstürmer

Seit mehr als 25 Jahren werden regelmäßig die Gipfel gestürmt, genauer: die Klimagipfel. Die Abschlusserklärung des ersten Weltgipfels in Rio de Janeiro im Jahr 1992 forderte erstmals die Einbindung des Umweltschutzes in alle Politikbereiche, und seit 1995 finden jährlich UN-Gipfeltreffen statt. Auf dem Gipfel angelangt, lässt man seine Blicke über das Land schweifen, findet so manches im Argen und verspricht, bald wieder einen Gipfel zu besteigen. – Auf dem „Autogipfel“ im Kanzleramt in Berlin (24. Juni) ging es schlicht um ein Konzept zur Zukunft der Mobilität.

Ist das Elektromobil die Lösung? „Die Zukunft gehört dem elektrischen Antrieb“ (Mercedes Werbung). Nein, sagt Helmut Becker, der Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation, in einem Gastbeitrag für das Fernsehnetzwerk n-tv vom 5. Nov. 2018. Die Gründe: Unzureichende Ladekapazität der Batterien; unzureichende und im Vergleich zum Verbrennermotor nicht wettbewerbsfähige Reichweite der tonnenschweren E-Autos; lange Ladedauer selbst an Schnellladestationen; komplizierte weil heterogene Tank-Abrechnungssysteme; völlig unzureichende ländliche öffentliche und vor allem private Ladeinfrastruktur in Form des Besitzes eines Eigenheims mit eigener Ladevorrichtung. Aber vor allem: „E-Autos sind schlicht zu teuer für den Massenmarkt.“ Fazit: „E-Mobilität ist und bleibt absehbar eine Spielwiese für Millionäre, nicht für Millionen.“ Nebenbei: der für das Frühjahr 2020 angekündigte Opel Corsa-E wird für ab knapp 30 000 Euro zu haben sein.

Kein Wunder also, dass „das 2008 formulierte Elektroauto-Ziel der Bundesregierung von einer Million Batteriefahrzeugen bis 2020 … längst als illusorisch

(SPIEGEL online 25. Juni 2019). Die Wahrheit: im Januar 2018 waren in Deutschland ganze 53.861 reine E-Autos angemeldet und 44.419 Plug-In-Hybride (im Gegensatz zu 5 Millionen Neuanmeldungen von Verbrennungsfahrzeugen). Inzwischen sollen nach einer neuen Zielsetzung der Bundesregierung bis 2030 auf deutschen Straßen zehn Millionen Elektro-Pkw unterwegs sein.

Letztlich sei, so wird allenthalben gemahnt, auch jeder einzelne in der Pflicht, sich klimafreundlich zu verhalten. Merkwürdigerweise scheint in allen Diskussionen um Klimakatastrophe und Klimaschutz eines keine Beachtung zu finden: der Motorsport (12 Stunden, 24 Stunden Vollgas!), der eher an versteckten Orten der Kritik ausgesetzt ist. Das Motorsport-Magazin stellte schon 2013 fest, dass sich „wie überall im Motorsport … auch in der Formel 1 die Frage der ökologischen Sinnhaftigkeit“ stelle, denn „die hochgezüchteten Motoren [stießen] ohne die im Straßenverkehr vorgeschriebenen Umweltschutzmaßnahmen 1.500 Gramm CO2 pro Kilometer aus. Der Durchschnittswert für Straßenwagen liegt bei 160-170 Gramm.“

Die Formel 1 ist allerdings nur eine von 140 Rennserien weltweit, und zu den Autorennen kommen noch einige weitere lautstarke Umweltschädlinge: Kartrennen, Motorbootrennen, Motorradrennen (davon weltweit 59 Straßenrennen), dazu etliche Wettbewerbe mit Spezialfahrzeugen wie Traktoren, Lastkraftwagen (Truck Racing) oder Flugzeugen. Fast hätten wir vergessen: Die Kreuzfahrtschiffe. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) hat errechnet, dass ein Kreuzfahrtschiff pro Tag so viel CO2 ausstösst wie fast 84.000 Autos, so viel Stickoxide wie etwa 42.1200 Autos, so viel Feinstaub wie etwa über 1 Million Autos und so viel Schwefeldioxid wie gut 376 Millionen Autos.

Seien wir gespannt auf den nächsten Klimagipfel ‒ im Dezember dieses Jahres in Santiago de Chile!

Das wär’s für heute.

Susanne Luecke

[gilt]

Ein Fußtritt – gute alte Tradition der SPD

Vor einer Woche hatte Andrea Nahles ihre Parteispitze wissen lassen: „Die Diskussion in der Fraktion und die vielen Rückmeldungen aus der Partei haben mir gezeigt, dass der zur Ausübung meiner Ämter notwendige Rückhalt nicht mehr da ist.“

Zufällig fiel mir dieser Tage die erste Nummer von DER SPIEGEL vom 4. Januar 1947 in die Hand. Hier ist auf Seite 3 in einem Artikel ohne Autorenangabe – Die bayrische Kompro-Mißgeburt – zu lesen:

„So wurde in den Reihen der CSU der Vorschlag gemacht, eine Aktionsgemeinschaft zwischen der ‚altbayrischen‘ CSU und der ‚altbayrischen‘ SPD herzustellen (der ‚königlich-bayrischen SPD‘ Wilhelm Högners). Högner steht allerdings ziemlich ohne Rückendeckung da, auf der letzten Landestagung seiner eigenen Partei beklagte er sich bitter darüber, daß sie ihm zum Dank für ein Jahr Arbeit lediglich einen Fußtritt hätte zuteil werden lassen.“

Andrea Nahles hat es vorgezogen, dem Fußtritt zuvor zu kommen.

Das wär’s für heute.

Susanne Luecke

Wozu Thomas Gottschalk?

Früher einmal hatte ein Bote Glück, wenn seine Botschaft eine für den Empfänger erfreuliche war. Weniger, wenn er schlechte Nachrichten hatte. Da die Botschaft selber nicht bestraft werden konnte und der Absender so schnell nicht erreichbar war, traf der Zorn des Adressaten eben den Boten. Einen Brief zu zerreißen und auf den Fetzen herumzutrampeln, reichte oft wohl nicht, dem Frust Luft zu machen.

Heute hat man bisweilen den Eindruck, die Botschaft selber, bzw. ihr Inhalt, spiele weniger eine Rolle. In einer Zeit, da es vielen nicht darauf ankommt, ob eine Nachricht wahr oder falsch ist, zählt um so mehr der Unterhaltungswert einer Botschaft.

Sucht man im Internet nach sachlichen Informationen zu einem bestimmten Geschehen, also nach verifizierbaren Fakten, gerät man rasch in irgendwelche chat streams, in denen es letztlich nur darum geht, einander mit Mist zu bewerfen. Shit storms nennt sich so etwas.

Was den Bundesinnenminister Horst Seehofer dazu bewegt haben mag, den populären Moderator Thomas Gottschalk zu Hilfe zu holen, als er am 7. Mai auf einer Pressekonferenz seine Initiative gegen Gewalt gegenüber Rettungskräften vorstellte, ist schwer zu beurteilen. Vielleicht war es lediglich die Überlegung, er könne mittels eines sympathischen Begleiters sein eigenes ramponiertes Ansehen etwas aufhübschen, um überhaupt beim Publikum auf offene Ohren zu stoßen. Dabei ist sein Anliegen alles andere als leichtgewichtig.

Anlass zu seiner Initiative ist die Tatsache, dass Rettungskräfte im Einsatz häufig beleidigt, bedroht oder gar körperlich attackiert und verletzt werden. Verbindliche Zahlen hierzu gibt es anscheinend nicht. Ob nun ein Anstieg solcher Übergriffe vorliegt oder nicht, spielt jedoch im Grunde keine Rolle.

„Wenn man als Arzt, Pfleger, Sanitäter oder Feuerwehrmann Angst um seine eigene Gesundheit haben muss, nur weil man versucht … zu helfen, dann läuft irgendetwas gewaltig schief“, äußerte sich ein Notarzt in Bayern.

Um eine Botschaft solcher oder ähnlicher Art rüberzubringen, hätte es keines Thomas Gottschalk bedurft.

Das wär’s für heute.

Susanne Luecke

Venedig, acqua alta

Die Luft ist heiß und wie fast immer feucht in dieser auf Wasser gebauten Stadt, das Haar hängt nass in die Stirn, der Schweiß läuft in der Rinne des Rückgrats hinunter, bis ihm der Hosenbund Halt gebietet und ihn aufsaugt. Ein lebhafter Wind, nicht kühl sondern warm, kommt von der Lagune herüber. Dem Wasser bleibt keine Zeit, sich für grau oder türkis zu entscheiden. Die leeren, an den Holzpfosten vertäuten Gondeln im glänzenden Leichenwagenschwarz vollführen einen Tanz wie nach der Choreographie eines gestörten Kleinhirns.

Die Wellen schwappen über, lecken mit gierigen Zungen das graue Pflaster. Ich bleibe stehen, sprungbereit, und bin gespannt, wann mich eine erwischt. Ein Versuch auszuweichen – zu spät!

„Arriva lo scirocco“, sagt ein Gondoliere sachlich, ohne Beunruhigung. Ich weiß noch nicht, was das bedeutet.

Diese Einmischung der Natur in die Angelegenheiten der Stadt! Das Hochwasser sucht die Venezianer drei- bis vier-, fünfmal im Jahr heim. Leben die Menschen mit dem Hochwasser, seit die ersten Siedler hier vor den Hunnen und Westgoten Schutz suchten?

Noch heute sind die Spuren unverkennbar, die die Kaiserlich Königliche Monarchie der Habsburger hinterlassen hat, trotz aller Feindseligkeit und des Widerstands der Bevölkerung damals, im 19. Jahrhundert. Immerhin ist es dasselbe Gebirge, das beide Reiche begrenzte, voneinander schied und schließlich für mehr als ein halbes Jahrhundert vereinte – nur einmal vom Norden, einmal vom Süden gesehen.

Gibt es eigentlich noch Venezianer? Es gibt sie noch, obwohl die meisten schon fortgezogen sind, dorthin, wo es weniger Wasser und mehr Arbeit gibt. Viele der prachtvollen Palazzi am Canal Grande sind verfallen, Schuttberge türmen sich hinter Fassaden mit scheibenlosen Fensteröffnungen, manche wurden in Hotels umfunktioniert oder sind in Fremdenhand. Die extravagante Peggy Guggenheim hat ihre berühmte Sammlung moderner Kunst in einem unfertigen Bau des achtzehnten Jahrhunderts untergebracht. Dort im schattigen Garten liegen, so verkündet eine steinerne Tafel mit gemeißelter Inschrift, ihre „darlings“ begraben. Das ist irritierend zu lesen, bis man realisiert: Es waren nicht ihre Liebhaber, sondern ihre Hunde.

Heute eine überraschende Nachricht in der Zeitung: Venedig wird nicht sterben. Nachdem wir jahrzehntelang schon an seinem Nachruf gearbeitet haben! Schuld am sicheren Verfall der Stadt seien vor allem die Motorboote, die das Wasser der Kanäle in ständiger heftiger Bewegung hielten und so die Mauern aushöhlten, hieß es immer.

Es bedeutete eine Klitterung, käme man nicht auf die Heerscharen von Pauschalreisenden zu sprechen, die Venedig vom Frühjahr bis in den Spätherbst hinein heimsuchen und zur Unkenntlichkeit entstellen. Sie füllen den Markusplatz und ergießen sich in die umliegenden Lokale (jedenfalls die wohlhabenderen unter ihnen). Die meisten tragen ihre Zweiliter-Wasserflasche wie ein modisches Accessoir mit sich. Es gibt inzwischen sogar Wasserflaschenhalter, die geschultert werden können. Die Wasserflasche mit Zubehör als Reiseutensil, wie ein Fotoapparat oder ein Fernglas. Sie schlecken an einem Eis, ohne Anzeichen eines Genusses, kauen an einem Tramezzino oder einer konfektionierten Pasta. Sie sitzen erschöpft auf den Holzstegen, die in Erwartung des Hochwassers den Platz überbrücken, scheinen nichts wahrzunehmen als die Schwüle des Septembertages, die sie lähmt, und die Schwärme von Tauben, die sie entzücken. Sehen sie die Kuppeln von San Marco, den Campanile von San Giorgio Maggiore drüben auf der Insel, die Arkaden der Piazza mit den mehrfach gerafften schweren Vorhängen, die den Platz um so mehr zu einem Innenraum machen?

Sie ahnen nicht, dass nur ein paar Meter weiter in der Piazza S. Zaccaria Stille herrscht, die leise Melancholie verlassener Schulhöfe; Reflexe von Sonnenlicht.

Am nächsten Morgen weckt mich Sirenengeheul. Siebenmal, zähle ich, setzt es von neuem an. Im übrigen dringt kein Laut von draußen, wie es eine Stadt an sich hat, in der keine Autos, keine Motorini, nur Gondeln fahren. Dennoch, irgendetwas ist heute anders. Ahnungsvoll schaue ich aus dem Fenster: Der elegant gekleidete Herr in reiferen Jahren, die Lederschuhe in der einen Hand, die Aktentasche aus hellbraunem Leder in der anderen, den Regenschirm über den angewinkelten Arm gehängt, hat etwas Unwirkliches, wie er mit hochgekrempelten Hosenbeinen und der größten Selbstverständlichkeit gemessen durch das wadenhohe Wasser watet.

Wenn Flut und Scirocco, der warme Südwind, zusammenfallen, drückt es das Meerwasser stadtwärts. Es sickert, zuerst kaum merklich, von unten durch die Fugen des Pflasters auf der Piazza San Marco, fängt an zu sprudeln, wenn der Druck stärker wird, und springt schließlich in kleinen munteren Fontänen in die Höhe, wohin man schaut. Gleichzeitig drängt das Wasser vom Ufer auf die Piazza, vereint sich mit den vom Boden aufschießenden Wasserspielen, steigt weiter, bis die Fontänen, dem stetig steigenden Wasserspiegel nicht mehr gewachsen, zu niedrigen, sanft sich wölbenden Hügelchen verkümmert sind, und bald sind Piazzetta und Piazza zu riesigen Becken geworden, gefüllt mit homogenem Nass, bald knie-, schließlich hüfthoch.

Mit ein paar Handgriffen sind die immer bereitstehenden Holzstege aufgebaut, die jetzt den Platz durchqueren und überbrücken. Die formlosen Schwaden von Menschen, die zuvor über der Piazza hingen, sind auf einmal kanalisiert, ohne eigene Entscheidung in die eine oder die entgegengesetzte Richtung fließend, und wie von einer geheimen Regie gelenkt fügen sie sich alle dieser seltsamen, einfallslosen Choreographie.

Gleichgewichtssinn ist gefordert, wenn dann noch Regen einsetzt und die aufgespannten Schirme sich hier und da ein Duell liefern und ihre Träger sich unversehens in Seiltänzer verwandeln. Ich ziehe es vor, die Hosenbeine aufzukrempeln und durch das überraschend warme Wasser zu waten. Ich bin nicht die einzige. Alle bewegen sich langsam, wie in Zeitlupe gefilmt. Ein Traumbild? Szene aus einem surrealistischen Film?

Ich arbeite mich durch bis zum Museo Correr, das mir jetzt erscheint wie der rettende Hafen.

Diesmal lasse ich mir Zeit für Canova: den Orpheus, der verzweifelt die Hand vor die Stirn schlägt, als er durch seine Neugier endgültig die Geliebte verspielt hat, nachdem er gerade durch sein Spiel den finsteren Herrn der Unterwelt hatte dazu bewegen können, Eurydike herauszugeben; der Abschied ist endgültig. Räumlich von ihm getrennt, bleibt sie hinter Orpheus zurück, die Dünste der Unterwelt umhüllen sie, und die Hand des Hades streckt sich besitzergreifend nach ihr aus. Zeit auch für den greisen Dädalus, der dem halbwüchsigen Ikarus die Flügel anlegt, was der Sohn über die Schulter weg in einer Mischung aus Verlegenheit und Stolz verfolgt.

Ein Blick aus dem Fenster: Noch immer regnet es. Im Obergeschoss eine Sonderausstellung. Nichts, was einen an diesem dunkelgrauen Regentag erheitern könnte. Wielange hält man es aus bei Francis Bacon, während das Wasser in der Piazza steigt und steigt und die runden weißen Kaffeehaustische auf dem Wasser driften wie die Riesenblätter mutierter Teichrosen?

Es geht gegen sechs, die Glocken von San Marco läuten zur Abendmesse. Ich folge der Einladung, auch das ist Zeitvertreib. Über Holzstege turne ich bis zum Hauptportal. Drinnen die gleiche mangelnde Stabilität – das Wogen auf der Piazza setzt sich hier im kostbaren Mosaikboden fort, und auch der riesige orientalische Teppich vermag es nicht zu glätten. Schwer, aber geschmeidig folgt er der Hügellandschaft des Fußbodens, dessen Farben wieder aufgreifend. Das Gold der Wände und Gewölbe lässt viel Architektonisches im Unklaren; Brücken, wie sie sich draußen über den Kanälen wölben, verbinden hier Außen- und Innenwände, überbrücken Raum hoch oben in Gewölbenähe.

Ist das Sockelgeschoss wirklich aus Stein, oder gehört das Geangeant zwischen Grau, Rosa und Ocker zu einem Moireestoff ? Frauen sitzen auf unsicheren Stühlen mit schief liegenden Sitzflächen. Die Bewegung ihrer schwarzgrundigen, mit bunten Blumen bemalten Fächer sind wie das Flügelschlagen überdimensionaler Schmetterlinge.

Welche Bedeutung mag der hagere Mann im Sraßenanzug haben, der, beladen mit einem hohen Stapel Pappkartons mitten in der Messe mitten durch den Altarraum eilt und hinter dem Altar verschwindet, unbeachtet vom Priester, der jetzt laut die Präfation liest?

Während der Messe muss es aufgehört haben zu regnen. Mildes Abendlicht liegt auf den Kuppeln von San Marco, die sich behutsam, wie herabschwebende Fallschirme auf das Gebäude senken. Nicht mehr lange, und das Wasser wird mit einsetzender Ebbe sinken. Morgen früh werden die Geschäftsleute den Steinboden wischen, die marmornen Verkaufstische trocknen, die Messingsockel blankputzen. Alles ist längst Routine. Vier-, fünf-, sechsmal im Jahr kommt das Hochwasser.

Schon die Kinder haben hier Rheuma, und das komme von der ewigen Nässe, sagt in singender venetischer Intonation Roberto, der drüben auf dem Lido wohnt und bei klarer Sicht von seiner Wohnung im dritten Stock eines Mietshauses die Alpen sehen kann.

Am späteren Abend stehe ich auf der Piazza: Nur hier und da noch ein paar Pfützen, die Holzstege liegen mit eingeklappten Stahlrohrbeinen gestapelt am Rand. Der Himmel ist farblos hell und bildet den Grund für schwarze flügelflappende Fledermäuse. Die Tagestouristen sind weg, die Stadt atmet auf. Ich flaniere trockenen Fußes über die Piazza und balanciere schließlich auf jener imaginären Linie, wo sich die Klänge von „alla turca“ (Caffè Quadri) und des Donauwellenwalzers (Caffè Florian) mischen.

(aus Susanne Lücke, Immer geradeaus. Verwirrt in Italien? Tb Miller E-Books 2013, ISBN 978 3 95600 969 3).

Venedig hat die Nase voll

und das schon seit vielen Jahren, nur dass es bislang keine Möglichkeit gefunden hat, den Strom der Tagestouristen einzuschränken. Ein Problem, das es mit vielen Orten des Weltkulturerbes teilt. Die Stadt am Canal Grande trifft es allerdings besonders hart, so sehr, dass die Unesco bereits gedroht hat, ihr den Titel „Weltkulturerbe“ wieder zu entziehen.

Im Schnitt suchen täglich 70 000 (andere Quellen nennen 100 000) Tagestouristen die Stadt heim und machen den knapp 60 000 Einwohnern im historischen Zentrum das Leben schwer. Allein Kreuzfahrtschiffe mit einigen tausend Reisenden entladen täglich ihre Fracht, die sich dann durch die engen Straßen und Gassen wälzt. Längst haben viele, die die schöne Kulisse mit echtem Leben gefüllt hatten, die Stadt verlassen, längst hat das bodenständige Handwerk aufgegeben; es gibt keine Schuhmacher, Schreiner, Polsterer mehr, die berühmte venezianische Spitzenkunst ist von ostasiatischer Billigware verdrängt worden. Eine in Venedig ansässige Agentin klagte in einem Interview von ZEITonline (18. Juli 2018): Die Qualität in den Geschäften hat generell nachgelassen, … es [ist] schwierig geworden, seitdem chinesische Billigware den Markt überspült. Sie glauben gar nicht, was da alles als Muranoglas verkauft wird!“

Das Dilemma Venedigs: zu viele Bewohner leben hier vom Massentourismus. Doch der Widerstand vieler Venezianer wächst und zeitigt Wirkung. Geplant ist z.B. schon seit Jahren – abseits der historischen Altstadt – ein eigener Hafen für die Ungetüme von Kreuzfahrtschiffen, die obendrein die Luft verpesten und die Fundamente der Gebäude schädigen. Jüngst hat das italienische Umweltschutz-Ministerium die Pläne für ein neues Terminal für Kreuzfahrtschiffe genehmigt, doch es gibt heftigen Widerstand gegen das Projekt.

Durchgangssperren an Tagen mit besonderem Touristenansturm hält Bürgermeister Luigi Brugnaro für hilfreich, sind aber kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Nun sollen die Eintagsfliegen unter den Besuchern (Hotelgäste bleiben verschont) zur Kasse gebeten werden: 3 Euro pro Person, 6 Euro im Jahr 2020 und vielleicht sogar 10 Euro in Zukunft bei besonders großem Ansturm (Quelle: dpa). Ob das viel ändern wird? Wer zwischen rund 600 (7 Nächte Mittelmeer) und 2.249 Euro (12 Nächte Mittelmeer) gezahlt hat, wird diesen läppischen Betrag auch noch aufbringen. Zumindest aber seien diese Einnahmen, so Bürgermeister Brugnaro, ein willkommener Beitrag zu den Kosten der Beseitigung von Gebäudeschäden und Müll, den die Touristen hinterlassen – Gäste übrigens, denen mittels aufgestellter Tafeln ein Minimum an Anstand, will sagen gutem Benehmen nahezubringen ist.

Zur Erinnerung daran, wie es einmal vor gar nicht allzu langer Zeit war: im nächsten Blogbeitrag ein „Porträt“ der Stadt in einer Ausnahmesituation, die mehrmals im Jahr eintritt und somit Normalität bedeutet.

Das wär’s für heute.

Susanne Luecke

Datenschutz schlägt Tradition

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In Bayern ist es üblich und gilt als höflich, jemand mit seinem/ihrem Namen zu begrüßen: also (korrekt): „Grüß Gott, Frau/Herr Mayer“ etc.

Das führt dazu, dass ich gelegentlich von einem/einer Entgegenkommenden mit einem „Grüß Gott, Fraaaaaau…“, angesprochen werde, womit er/sie deutlich zu erkennen gibt, dass ihm/ihr mein Name entfallen ist, was man streng genommen als Unhöflichkeit empfinden könnte.

Für den Fall jedoch, dass jemandem der Name flott von den Lippen kommt und das in aller Öffentlichkeit, könnte es ein Problem geben, wie folgendes Beispiel zeigt. Eine Kundin in einem Geschäft in XY (Name aus Datenschutzgründen geändert) wurde wie üblich namentlich begrüßt, worauf sie diese Freundlichkeit mit den Worten zurückwies, sie verbitte sich die namentliche Anrede coram publico, denn damit verletze man den Datenschutz. Da ich selber nicht Zeugin war, möchte ich nicht ausschließen, dass diese Kritik u.U. nicht ernst gemeint war. Aber für alle Fälle in Zukunft nicht gedankenlos einfach der Tradition folgen, sonst könnte es am Ende Ärger geben.

Das wär’s für heute.

Susanne Luecke

Nicht nur der Brexit

lässt uns über die Briten staunen, auch so über manches andere. Wer seinen dauerhaften Wohnsitz auf der britischen Insel hat, sollte sich schleunigst überlegen, ob es nicht klüger wäre sie zu verlassen, bevor er das Rentenalter erreicht hat.

Dass die Briten robust sind, das legt schon ein Blick auf ihre Küche nahe. Dass sie womöglich mehr als robust sind, dieser Verdacht konnte am vergangenen Freitag den Hörern der Sendung „Eins zu Eins. Der Talk“ in Bayern 2 kommen. Der renommierte zum Gespräch geladene Herzchirurg Rüdiger Lange vom Deutschen Herzzentrum in München erwähnte am Rande das britische staatliche Gesundheitssystem, das anders funktioniert als in Deutschland: Es gibt keine gesetzlichen Krankenkassen, die medizinischen Leistungen werden aus Steuermitteln finanziert und sind für den Patienten grundsätzlich kostenlos. Klingt gut, aber nur so lange man nicht um die Einschränkungen weiß. Das Prinzip ist eine rein wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung. Also, was braucht ein Mensch im Alter von, sagen wir, 80 oder mehr Jahren noch eine Organverpflanzung, ein neues Herz, ein neues Hüft- oder Kniegelenk? Er liegt der Gesellschaft nur noch auf der Tasche und ist eh bald über den Jordan. Dass einem Dialysepatienten aber bereits im Alter von 60 Jahren die entsprechende lebenswichtige Behandlung verwehrt wird, darf man durchaus zynisch nennen. Im Grunde handelt es sich dabei, genau besehen, um eine unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge. Vielleicht sollten es betroffene Briten mal mit einer Klage vor Gericht versuchen, sofern sie nicht reich genug sind, sich eine private Zusatzversicherung leisten können.

Zur Sicherheit aber: Sachen packen und wegziehen (was viele angesichts des drohenden Brexit so wie so schon tun).

Das wär’s für heute.

Susanne Luecke

Wandern – nicht nur des Müllers Lust

Durch das gesamte Dokument“(gemeint ist der UN-Migrationspakt) „zieht sich eine Haltung, Migration als etwas Normales und gar Wünschenswertes anzusehen.“ So äußerte sich der Vorsitzende des Bundestagsaussschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Peter Ramsauer (CSU) in einem Interview mit der Tageszeitung WELT vom 19. November. Wandern – nicht nur des Müllers Lust weiterlesen